In unserer Gesellschaft, in der in Ermangelung anderer Normen die Produktivität und das Leistungsvermögen von Menschen häufig als Gradmesser für den Wert derselben herhalten muss, sind sie oft die Anderen. Etwa 200 Beschäftigte der Werkstätten für behinderte Menschen aus den 16 Bundesländern spielten in dieser Woche in der Sportschule Duisburg-Wedau ihre erste Deutsche Meisterschaft aus.
Eine nachprüfbare wesentliche Behinderung, die gleichzeitig die Teilhabe am beruflichen Leben noch nicht oder noch nicht wieder erlaubt, lautet die offizielle Definition für eine Aufnahme in diese Einrichtung des geschützten Arbeitsmarktes. In Deutschland gibt es über 2300 Werkstätten an 700 Standorten. In vielen dieser, in denen 260.000 Menschen beschäftigt sind, wird auch Fußball gespielt.
"Der gestiegenen Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit Rechnung zu tragen", war laut Manuel Neukirchner die Intention, den Wettbewerb, der seit neun Jahren durchgeführt wird, als Deutsche Meisterschaft aufzuwerten. Zusammen mit ihren Kooperationspartnern, dem Deutschen Behindertensportverband (DBS), Special Olympics Deutschland und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Behinderten Menschen (BAG) richtete die Sepp Herberger-Stiftung des Deutsche Fußballbundes das Turnier aus.
"Trotz des Leistungsgedankens werden wir aber natürlich auch den sozialen Auftrag nicht verlieren. Wir haben die Veranstaltung mit dem Einlagespiel gegen Österreich international geöffnet. Wir wollten nicht nur Fußball spielen, sondern auch in der Öffentlichkeit deutlicher auftreten. Das ist uns gelungen", bilanzierte der Geschäftsführer der Stiftung.
Wurde eine Einmündung in die sogenannte WfbM früher häufig als persönliche Niederlage empfunden, zeigt die jahrzehntelange pädagogische und therapeutische Arbeit mittlerweile Wirkung. "Menschen mit Behinderungen sind in den letzten 40 Jahren in Deutschland in den Werkstätten zu selbstbewussten Persönlichkeiten geworden. Entsprechend wollen Sie in der Gesellschaft als solche anerkannt werden", weiß Ralf Hagemeier, Vorsitzender der BAG.
Der Fußball sei dabei mit seiner integrativen Kraft ein wichtiges Element. "Beim Mannschaftssport wird Zusammengehörigkeitsgefühl und Mannschaftsverhalten gelebt. Das ist besonders wichtig. Viele Menschen mit Behinderungen kommen aus sozial schwachen Familien, in denen sie kein Familiengefüge oder Zusammenhalt kennen gelernt haben. Beim Sport müssen sie positive wie negative Erlebnisse verarbeiten", weiß auch Gisbert Schugall von den Recklinghäuser Werkstätten.
Der Seriensieger der letzten vier Jahre hatte sich in Ausscheidungsturnieren gegen 42 andere Teams aus NRW durchgesetzt und musste sich als Vertreter des hiesigen Bundeslandes diesmal mit dem dritten Platz zufrieden geben.
Erster Deutscher Meister wurde die Reha-Werkstatt Oberrad aus Frankfurt. "Eine Niederlage ist für den einen oder anderen in unserer Mannschaft ein Weltuntergang", bestünden laut Schugall gerade im Ausleben von Erfolg und Misserfolg wesentliche Unterschiede zu Seniorenmannschaften mit nicht behinderten Spielern. "In Mannschaften für Menschen mit Behinderung spielen sehr viele Emotionen mit. Das Einordnen gewisser Situationen während des Spiels und neben dem Platz ist oft eine ganz andere", gibt der Arbeits- und Berufsförderer zu, die enttäuschten Gemüter in vielen Einzelgespräche wieder aufrichten müssen. "Gerade für Geistig Behinderte ist die Komplexität des Spiels schwierig. Taktisches Verhalten, Spielüberblick, das Einschätzen überraschender Situationen - damit haben sie ihre Schwierigkeiten", weiß Schugall als Fachübungsleiter Reha-Sport in Recklinghausen.
Auch Schalke-Idol Olaf Thon konnte sich von der Idee einer Deutschen Meisterschaft überzeugen. "Es war ein tolles Erlebnis, mit den Aktiven zusammenzukommen. Die Begeisterung für den Fußball in den Werkstätten ist riesengroß, das war bei den Spielern deutlich zu spüren. Der Fußball, der hier gespielt wird, ist ein fester Bestandteil unserer faszinierenden Sportart", ist Thon von der Idee überzeugt.
Der Weltmeister von 1990 war im Rahmen der Schirmherrschaft des FC Schalke 04 zur Pokalübergabe an die Wedau gereist. Dem Gedanken der Special Olympics folgend, bekam jeder Spieler eine Medaille. Die Königsblauen sorgten mit einem Erlebnisnachmittag rund um die Arena auch für das Highlight der Woche.
"Die Deutsche Meisterschaft der Werkstätten für Menschen mit Behinderung soll künftig eine Facette im DFB werden, wie die der A-Junioren oder anderer Bereiche", gehe es laut Neukirchner jetzt darum, Nachhaltigkeit zu erzielen. "Dass Schalke 04 seine Bekanntheit in den Dienst der guten Sache gestellt hat, war dabei sehr hilfreich. Dafür möchte ich mich noch mal besonders bei Manager Andreas Müller und Geschäftsführer Peter Peters bedanken, die sich auch persönlich sehr eingebracht haben. Diese erste Deutsche Meisterschaft war für alle Spieler ein unvergessliches Erlebnis", ist eine Neuauflage im kommenden Jahr gewiss.