Ingo Anderbrügge hat sich auch im zweiten Jahr bei Rhein Fire noch nicht ganz in seinem neuen Job akklimatisiert. "Ehrlich gesagt: Quasi über das Tor zu schießen - das irritiert mich schon noch", sagt der frühere Bundesliga-Profi, der am Wochenende in seine zweite Saison als Kicker beim American Football startet. Früher trug Anderbrügge das königsblaue Schalker Trikot und musste versuchen, das Runde ins Eckige zu schießen, jetzt ist es seine Aufgabe ein Ei durch zwei Torstangen zu befördern - im burgundroten Dress von Rhein Fire in der NFL Europe.
"Das ist wie früher beim Elfmeter"
Aber der 40-Jährige darf es weiter dort tun, wo er schon vorher sportlich zu Hause war: auf Schalke. Die Debütsaison im vergangenen Jahr mit dem Einzug ins World-Bowl-Finale weckte die Lust auf mehr. Auch in der zweiten Spielzeit der Düsseldorfer im Gelsenkirchener Exil, die am Sonntag (16.00 Uhr/live bei Premiere) mit dem rheinischen Derby im Ruhrpott gegen Neuling Cologne Centurions beginnt, ist "Bingo-Ingo" wieder für die Fieldgoals und Extrapunkte bei Rhein Fire zuständig. Nicht nur, weil er bei den Auftritten in der Arena AufSchalke ein wichtiger Werbeträger ist. Auch, weil er in seiner zweiten sportlichen Karriere richtig gut ist. Nur bei drei von 31 Versuchen verfehlte der frühere Dortmunder und Schalker Fußball-Profi sein Ziel - eine Quote, die sich sehen lassen kann. Und ein guter Kicker kann ein Spiel entscheiden, das hat Anderbrügge in seinem ersten Football-Jahr gelernt. "Man steht zwar viel herum, das ist schon manchmal nervig. Aber dann kommen die Momente, in denen es allein auf dich ankommt. Auf deine Nervenstärke. Das ist wie früher beim Elfmeter."
Und weil er früher in der ersten und zweiten Bundesliga immerhin insgesamt 26 Strafstöße souverän verwandelte, hat er mit der Anspannung beim entscheidenden Fieldgoal-Versuch keine Probleme - "wenn 40.000 Leute schreien, und dein Schuss entscheidet". Weiterhin gewöhnungsbedürftig sind für "Bingo-Ingo" aber Teamkollegen und Gegner in seinem neuen Sport. "Da fällt eine Horde wirklich Angst einflößender Kameraden über dich her, wenn du zu langsam bist." Auch über die Essgewohnheiten der Football-Schwergewichte wundert sich der Ex-Fußballer noch immer. "Was die weghauen - da kann ich nicht mithalten. Da liegen Riesensteaks, ein ganzer Haufen Fleisch. Und dann muss man ihnen sagen, dass jeder nur eins kriegt, sonst nehmen die glatt mehrere. Manche halten es vom Mittag- bis zum Abendessen gar nicht aus. Die gehen nachmittags ins Restaurant und bestellen sich noch mal eine volle Mahlzeit."
Anderbrügge letzter Ex-Fußballer in der NFL Europe
In der NFL Europe ist Anderbrügge mittlerweile der letzte Ex-Fußballer, der sich über seine schwergewichtigen Football-Kollegen wundert. Axel Kruse, bei Berlin Thunder der Mann für Fieldgoals und Extrapunkte, hing die Football-Schuhe vor der neuen Saison an den Nagel, weil er sich auf seine Arbeit als Fernsehjournalist konzentrieren will. Auch die beiden anderen deutschen Klubs, Neuling Köln und Titelverteidiger Frankfurt Galaxy, der die Saison am Samstag (19.00 Uhr) gegen die Amsterdam Admirals eröffnet, kommen ohne frühere Fußballer aus. Sie alle kämpfen um den Einzug in den World Bowl am 12. Juni in der Arena AufSchalke. Ein Spektakel, bei dem auch Anderbrügge nicht nur Zuschauer sein will. "Noch einmal ein Endspiel auf Schalke, das wär's doch", sagt der frühere Mittelfeldspieler mit der gefürchteten "linken Klebe", der 1997 mit Schalke 04 den UEFA-Cup gewann. "Von Endspielen kann man gar nicht genug kriegen." Auch nicht, wenn man übers Tor schießen muss.