Seit seinem dritten Lebensjahr ist Berthold Weishof gehörlos. Von einer erfolgreichen Spieler- und Trainerlaufbahn hat ihn das jedoch nie abgehalten. Dementsprechend konnte Weishof, der auch Co-Trainer der Gehörlosen-Nationalmannschaft ist, schon zahlreiche Erfolge feiern - sowohl im Gehörlosen- als auch im Hörenden-Fußball.
Denn so groß, erklärt der Coach, seien die Unterschiede ja auch gar nicht. "Im Hörenden-Fußball wird mehr gesprochen, beim Gehörlosen-Fußball müssen wir das durch Arbeit mit den Augen auffangen, viel schauen, wo die anderen sich hinbewegen. Man hört natürlich auch den Pfiff des Schiedsrichters nicht. Dafür haben die Schiedsrichter extra eine Fahne dabei. Falls ein Pfiff kommt, wird gleichzeitig die Fahne hochgehalten. So sehen wir sofort, dass der Schiedsrichter das Spiel unterbricht oder eine Entscheidung getroffen hat", erzählt er. "Aber was die fußballerischen Fähigkeiten angeht, gibt es kaum Unterschiede. Viele gehörlose Spieler spielen oder spielten selbst in höheren Ligen, z.B. Ex-Profi Stefan Markolf, der sein Debüt bei Mainz 05 unter Jürgen Klopp erleben durfte oder Simon Ollert bei der SpVgg Unterhaching (damals 3.Liga) unter Christian Ziege."
20 Derby-Star-Bälle als Ablöse
Weishofs Werdegang ist dementsprechend auch vergleichbar mit dem eines Hörenden.
"Schon als kleiner Junge war ich fast jeden Tag mit Freunden zum Fußball spielen auf dem Sportplatz. Die stellten dann fest, dass ich unheimlich stark am Ball war. Letztendlich haben sie mich überzeugen können, mit zwölf Jahren in einen Fußballverein einzutreten", berichtet Weishof über seine Anfänge.
Bei seinem ersten Klub, der SG Bochum Süd (heute SG Linden-Dahlhausen), blieb das Talent des Neuzugangs nicht lange verborgen. Einem Wechsel in die B-Jugend des Nachbarvereins CSV Sportfreunde Linden folgte ein Angebot der SG Wattenscheid 09, die Weishof für ihre A-Jugend rekrutieren wollte - für eine Ablöse von 20 Derby-Star-Bällen. "Darüber lachen wir heute noch", erzählt der 43-Jährige.
Weishof sagte zu und trat in der neuen Saison für die SG gegen den Ball, unter den Augen von unter anderem Wattenscheid-Präsident Klaus Steilmann und Hannes Bongartz, dem Trainer der Herren des damaligen Bundesligisten. Sein zweites U19-Jahr verbrachte er bei der TSG Sprockhövel - zum Ärger von Rot-Weiss Essen, das den talentierten Nachwuchsspieler auch gerne verpflichtet hätte.
Beim damaligen Verbandsligisten aus Sprockhövel machte Weishof auch seine ersten Schritte im Seniorenbereich. "Ich war damals dabei, als der VfB Kirchhellen in unserem Stadion 1998 in die Oberliga aufstieg, vor ca. 700 Zuschauern, das war Gänsehaut pur", erinnert er sich zurück. Trotz mehrerer Angebote sollte es für den Spieler dann jedoch nicht mehr in höheren Ligen gehen, zu viele Verletzungen stoppten ihn in dieser Zeit.
Ganz aufhören wollte er jedoch nicht - immerhin war gerade erst seine Berufung in die Gehörlosen-Nationalmannschaft erfolgt! Weishof spielte deshalb noch für einige unterklassigere Vereine und parallel deutschlandweit im Gehörlosen-Fußball für den GSV Düsseldorf, mit dem er drei Mal die deutsche Meisterschaft gewinnen konnte, den GTSV Essen und Comet Berlin. "Zusätzlich zu den Titeln mit Düsseldorf durfte ich mit Berlin als Westfale 2016 noch den Ostdeutschen Meistertitel gewinnen - das war ein unvergesslicher Moment", schwärmt Weishof.
Weishof: Der Weg zum Co-Trainer der Gehörlosen-Nationalmannschaft
Zu dem Zeitpunkt war er auch schon als Trainer tätig. Nach verschiedenen Stationen im Jugendbereich gelang dem Coach der Durchbruch mit der U19 des SC Weitmar 45 in der Landesliga Saison 2017/18. "Da wurde mir klar, dass Trainer sein genau mein Ding ist. Ich arbeite sehr akribisch mit den Jungs, erwarte Disziplin und Willen, ich will keine Mannschaft haben, die nach 60 Minuten platt ist. Sonst hole ich direkt die Medizin Bälle raus", lacht Weishof. "Spaß gehört aber natürlich auch dazu."
Parallel durfte er seinen ersten großen Erfolg als Trainer im Gehörlosen-Fußball feiern: den deutsche Meistertitel mit dem GTSV Essen. "Die besten Mannschaften der NRW-Liga-Saison qualifizieren sich für die Endrunde. Dort wird dann, beginnend mit dem Achtelfinale, eine Endrunde um die deutsche Meisterschaft gespielt. Der Austragungsort des Finales 2018 war Heidelberg, wir konnten uns mit 1:0 gegen die GSG Stuttgart durchsetzen. Das musstest du erstmal realisieren, dass du mit der Mannschaft als Trainer den Meistertitel geholt hast", berichtet Weishof.
Das Engagement in Essen musste Weishof zwar beenden, aber aus einem erfreulichen Grund: Ihm wurde ein Posten als Co-Trainer der Gehörlosen-Nationalmannschaft angeboten, mit der er postwendend die Vize-Europameisterschaft in Griechenland feiern konnte. Da der 43-jährige auch noch als Co-Trainer, damals beim Landesligisten Firtinaspor Herne, jetzt beim DSC Wann-Eickel in der Westfalenliga an der Linie wirkte, sowie normal berufstätig ist, wäre sonst keine Zeit zum durchschnaufen mehr verblieben.
Noch im Herbst diesen Jahres steht für den Coach die WM in Malaysia an. Dort will er mit seinem Team die Halbfinal-Niederlage bei den Deaflyimpics im letzten Jahr vergessen machen. "Ich bin immer noch sauer, wenn ich daran denke. Wir haben wegen ein paar Einzelaktionen ganz blöd 2:3 gegen Frankreich verloren. Die Szenen laufen noch ständig in meinem Kopfkino. Fußball kann so schön sein, aber auch so grausam", berichtet Weishof. "Ich weiß aber das die Jungs bei der WM ein anderes Gesicht zeigen wollen und hungrig auf eine Medaille sind", kündigt er an.
In der Vorrunde wird die Nationalmannschaft auf Saudi-Arabien, den Iran und Argentinien treffen. "Das internationale Niveau ist sehr hoch, in der Gruppenphase ist der Iran ein starker Gegner. Wir wollen niemanden unterschätzen, da viele Länder sich sehr gut entwickelt haben. Favorisiert ist meiner Meinung nach die Ukraine, sie gewannen letztes Jahr die Deaflyimpics, ebenso 2019 die Europameisterschaft", blickt der Fußballehrer voraus.
Aber auch die Gehörlosen-Fußball-Szene in NRW bietet keinen Anlass zur Sorge. Weishof: "Der GTSV Essen und der GSV Düsseldorf gehören zu den besten Teams in Deutschland und spielen regelmäßig um die deutsche Meisterschaft mit". Generell, erzählt er, gebe es derzeit viele spannende Entwicklungen im Gehörlosen-Fußball. "Es gibt in Europa sogar eine Deaf Champions League, zurzeit ist zudem Futsal sehr im Kommen." Und nicht zu vergessen: "Besonders Frauen Fußball ist extrem gefragt, wir haben eine überragende Damen Nationalmannschaft die zurzeit sehr erfolgreich ist".
Dementsprechend würde er sich auch sehr über mehr Aufmerksamkeit für den Gehörlosen-Sport freuen. "In anderen Ländern gibt es mehr Unterstützung, da werden sogar Spiele live übertragen. Das ist bei uns einfach zu wenig, bemängelt er. Dabei ist doch bekannt, dass wir als Sportler immer alles geben. Wir wollen auf keinen Fall mit leeren Händen nach Hause fahren."
Deswegen wird der ehrgeizige Coach weitermachen. Beim DSC Wanne-Eickel in der Westfalenliga genauso wie bei der Gehörlosen-Nationalmannschaft.