Der 45-Jährige muss ohne Kohle und mit einem extrem jungen Team das Kunststück bewerkstelligen, den Klassenerhalt zu packen. Dabei kann der passionierte Radfahrer aber nicht das Tempo vorgeben, das er gerne hätte. Warum er trotzdem nicht aufgibt und die Arbeit mit dem Nachwuchs genießt, verrät er im RS-Interview.
Oliver Röder, sind Sie nicht frustriert, dass Ihre Arbeit von mangelnder Wirtschaftskraft erschwert wird? Nein. Die Leute, die jetzt noch da sind, können nichts dafür. Wir sind diejenigen, die das Schiff irgendwie auf Kurs halten. Es gibt aber auch Personen, die sich im Glanz des VfB gesonnt haben, dann aber weg waren, als sie merkten, dass schlechtere Zeiten anbrechen.
Wie schlecht sieht es aktuell aus? Uns steht das Wasser bis zum Hals. Aber wir werden die Saison wohl überstehen. Es gab in der Pause eine kleine Phase, in der alles auf der Kippe stand, aber die ist überstanden. Denn eine Insolvenz würde einen Imageschaden hinterlassen, der nicht mehr zu kitten ist. Doch Speldorf hat Tradition und ist bundesweit bekannt. Wenn ich bei Google VfB eingebe, kommt erst Stuttgart und auf Platz fünf bereits Speldorf. Es darf einfach nicht sein, dass die ranghöchste Mülheimer Mannschaft untergeht.
Die Vorzeichen stehen aber schlecht. Geld wird nicht gezahlt, auch Sie warten auf die Hälfte Ihrer Bezüge. Damit aber nicht genug: Die Erste hat keinen Betreuer, die Fans bleiben weg, etc. Stimmt, uns fehlt es nicht nur am Geld. Aber ich verdanke dem VfB viel, denn hier habe ich mich in der Oberliga etablieren können. Ich wusste nicht um alle Schwierigkeiten, kannte nur das Konzept, aus der eigenen Talentschmiede Spieler zu entwickeln. Diese Aufgabe ist mein Steckenpferd. Wenn aber im zweiten Jahr keine A-Jugend mehr vorhanden ist, ist das Angedachte natürlich obsolet.
Warum gibt es keine A-Jugend mehr? Der Klub ist in eine Jugend- und Seniorenabteilung geteilt und die Kommunikation zwischen den beiden Bereichen ist einfach nicht gut. Ich bin mit offenen Armen auf die Jugend zugegangen, aber es hat sich nichts ergeben. Okay, vielleicht nicht immer wieder aufs Neue, aber ich habe auch unzählige andere Aufgaben. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass mal jemand auf mich zugekommen wäre.
Warum werfen Sie nicht das Handtuch? Ich traue mir die Aufgabe trotz der Schwierigkeiten zu. Es hat ja zwei Jahre lang gut funktioniert. Unser Manager Ingo Pickenäcker und ich haben es geschafft, in der NRW-Liga mit einem der kleinsten Etats und viel Überzeugungsarbeit ein Team aufzubauen, das gut mitgehalten hat. Auch in der ersten Oberligasaison haben wir uns ordentlich verkauft. Das dritte Jahr hätte ich dann sicherlich kritischer angehen können, weil wir noch weniger Geld haben als zuvor und mit den Abgängen von Carlos Penan, Toni Munoz oder Jonas Hergesell erneut einen Umbruch verkraften mussten. Aber ich wollte nicht aufgeben.
Sind Sie sauer, dass Spieler dem Klub den Rücken gekehrt haben? Nein, ich gönne es den Jungs. Sie sollten sich bei uns zeigen und weiterentwickeln. Das haben sie getan. Aber uns fehlt jetzt vorne wie hinten die Qualität. Wir können nur erfolgreich sein, wenn wir als Kollektiv funktionieren. Ich gehe vorne weg und bin nicht der Gefrustete, der mit einem Hals zum Training geht. Ich verlange aber von den Jungs, dass sie ihre Defizite erkennen, daran arbeiten und sich auf ihre Stärken konzentrieren. Wir kämpfen bis zum Schluss.
Ist der Klassenerhalt mit Ihrem „Kindergarten“ überhaupt möglich? Ja. Die Jugend ist die Zukunft des Amateurfußballs! Sie muss ausgebildet werden – das ist meine Aufgabe und nicht die, an der Linie zu stehen und irgend etwas darzustellen. Ich möchte den Jungs etwas beibringen. Auch ich lerne noch täglich. So musste ich erkennen, dass ich die Spieler heute nicht so anpacken kann, wie es mit mir gemacht wurde.
Warum nicht? Weil sich die Einstellung zum Sport gravierend geändert hat. Früher haben sich die Sportler viel mehr mit dem Verein und der Gruppe identifiziert. Heute ist das Training vorbei, die Jungs sind sofort gegelt, weg und stehen schon wieder in einem anderen sozialen Kontakt, beispielsweise auf der Tanzfläche. Vor ein paar Jahren war der Kontakt eher innerhalb des Teams. Wir haben zusammengesessen und etwas gemeinsam unternommen. Das gibt es leider kaum noch. Ich halte der Generation aber zu Gute: Die Arbeitszeiten und das Familienleben haben sich stark verändert. Außerdem waren die alten Zeiten auch nicht immer gut. Wichtig ist nur, sich den Gegebenheiten anzupassen. Die Moral darf aber nicht darunter leiden.
Was meinen Sie damit? Welcher Spieler bleibt heute noch jahrelang in einem Verein? Durch die Winterwechsel geht kaum noch einer kritisch mit sich selbst um, sondern sucht sich lieber einen neuen Klub, wenn es nicht läuft. Für die Profis ist die Transferzeit gut, für die Amateure aber nicht.
Geht die Schere r auseinander? Ja. Auch die Fans erwarten von uns das, was sie die Woche über bei den Profis sehen. Das ist aber Utopie. Wir haben nur die gleichen Verletzungen wie die Profis, mehr aber auch nicht. Und auch da gibt es einen großen Unterschied: Wir gehen zum Hausarzt, nach sechs Wochen wissen wir erst, dass die Kreuzbänder durch sind, müssen dann über ein Jahr pausieren und erhalten noch Druck von unserem Arbeitgeber, dass wir nicht noch einmal so lange ausfallen dürfen.
Was erwarten Sie vom System? Es muss Hilfe zur Selbsthilfe geleistet werden. Der DFB könnte in Form von Ausbildungen an der Basis helfen. Jeder Klub braucht zwei, drei Trainer, die gut ausgebildet sind und vom DFB bezahlt werden. Aber selbst für einen C-Schein muss jeder Teilnehmer selbst richtig Geld bewegen.
Was erhoffen Sie sich für die Zukunft? Ich würde gerne eine Mannschaft betreuen, die ich über zwei, drei Jahre entwickeln kann. Damit meine ich die Spieler, die sozialen Kontakte wie auch das Drumherum. Wichtig ist mir die Perspektive. Die Arbeit muss in der D-Jugend, der goldenen Altersstufe, anfangen. Dem Nachwuchs muss dann die höchste Amateurklasse als Perspektive geboten werden.
Heißt das, Sie werden Speldorf im Sommer verlassen? Ich bin für alles offen, möchte aber abwarten, was sich hier entwickelt. Bis dahin ist mein Traum, das dritte Mal zu beweisen, dass wir unter den Umständen nicht absteigen. Klappt es nicht, ist es halt so. Dafür muss sich dann aber niemand schämen, denn für die aktuelle Situation des VfB können die derzeitigen Protagonisten nichts.