Dramatischer Schiri-Rückgang wegen steigender Gewalt Andreas Thiemann, Vorsitzender des Verbandsschiedsrichter-Ausschusses des FVN, appelliert an die Vereine
Beleidigungen, Drohungen, Kritik und steigende Gewalt. Wer heutzutage Schiedsrichter werden möchte, sieht sich Woche für Woche unzähligen Gefahren ausgesetzt – vor allem im Amateur- und Jugendbereich. Verständlich, dass die Zahl der Unparteiischen seit Jahren dramatisch sinkt. Waren im Fußballverband Niederrhein vor zehn Jahren noch mehr als 4.000 Referees gemeldet, ist die Zahl auf aktuell 2.800 geschrumpft. Eine fatale Entwicklung.
„Wir haben es aber zumindest geschafft, den Rückgang zu stoppen“, betont Andreas Thiemann, Vorsitzender des Verbandsschiedsrichter-Ausschusses des Fußballverband Niederrhein (FVN): „Wir bilden jedes Jahr 400 bis 500 neue Unparteiische aus, aber leider verlassen uns im gleichen Zeitraum auch genauso viele Kollegen, so dass die Zahl stagniert.“ Dass die Lust, Spiele zu leiten, angesichts der massiven Anfeindungen nach kurzer Zeit schwindet, dafür hat Thiemann Verständnis: „Die Hemmschwelle, Schiedsrichter zu kritisieren, ist in den letzten Jahren deutlich gefallen. Man könnte manchmal meinen, dass viele Leute den Sportplatz als einen rechtsfreien Raum ansehen, in dem sie sich wie eine offene Hose benehmen können.“
Wie am vergangenen Wochenende in der Essener Freizeitliga, als es zum bisherigen Tiefpunkt der gewalttätigen Eskalation kam (siehe Bericht auf Seite 38). Thiemann ist fassungslos: „Dieser Vorfall ist unentschuldbar und unerträglich. Diese Gewalttäter schaden dem Fußball.“
„Gewalttäter schaden dem Fußball!“ Andreas Thiemann
Damit solche Straftäter in Zukunft isoliert werden, hofft Thiemann auf die Mitarbeit der Vereine. Sein Vorschlag: „Wenn die Verantwortlichen eines Klubs wissen, dass sich ein derart aggressiver Spieler in ihren Reihen befindet, sollte er vom Verein ausgeschlossen und danach bei keinem anderen Klub mehr aufgenommen werden. Das ist ein Zeichen der Solidarität.“ Zudem fordert er neben einem Ordnungsdienst auch zu mehr Zivilcourage auf. Vereinsvertreter können Zuschauer explizit ansprechen, den Schiri in Gefahrensituationen zu unterstützen: „Außerdem muss die feindselige Atmosphäre gestoppt werden.“
Die existiert vor allem im unterklassigen Amateurfußball wie auch im Juniorenbereich. „Wenn die Schiedsrichter erst einmal die Verbandsklassen erreicht haben, dann haben sie das Schlimmste hinter sich und bleiben dem Job auch treu“, weiß Thiemann. Deshalb müssen die Rahmenbedingungen an der Basis auch dringend verändert werden: „Das geht aber nur im Einklang mit allen Beteiligten.“
„Müssen wieder eine Atmosphäre des Respekts schaffen.“ Andreas Thiemann
Dem Rückgang an Schiedsrichtern neben der Vernunftskampagne auch finanziell entgegenzuwirken, hält Thiemann nicht für möglich, selbst wenn Risiko und Ertrag kaum im Einklang stehen. Während die Spielleiter in der Bundesliga mit 3.800 Euro plus Spesen für einen Einsatz entlohnt werden, bekommen die Schiris weiter unten ihre Fahrtkosten ersetzt, sind aber ansonsten weit von einem guten Nebenverdienst entfernt. Für ein Jugendspiel erhalten sie acht, für eine Partie in der Oberliga Niederrhein 50 Euro. „Aber der Job bietet weitere Vergünstigungen wie beispielsweise den freien Zutritt zu allen Spielen des DFB“, bemerkt Thiemann: „Aber ob dadurch wirklich mehr Schiedsrichter die Pöbeleien auch langfristig aushalten, bezweifle ich.“ Thiemann setzt den Hebel deshalb lieber woanders an: „Wir müssen noch mehr in den Dialog mit den Vereinen treten, um wieder eine Atmosphäre des Respekts zu schaffen. Denn jeder Schiri, den ich heute vergraule, fehlt mir morgen beim Spiel.“ Stimmt, deshalb ist jeder gefordert, diesen Trend zu stoppen.