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Wetten in der Kreisliga
Die Bude der Pandora

Geldwetten in Essen: Zocken um den großen Pfusch
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Seit einem halben Jahr ist es in Essen möglich, auf Fußballspiele bis in die Kreisliga zu wetten. RS nahm dieses ungewöhnliche Angebot genauer unter die Lupe.

Es ist der vielleicht letzte Mythos der Kreisliga und gehört zum Fußballsonntag wie greise Schiedsrichter, übergewichtige Liberos und die Kippe danach. Doch es funktioniert eben gerade weil und nur solange niemand drüber spricht. Zumindest, solange die eigene Mannschaft betroffen ist. Dass bei anderen Klubs schon gemauschelt und verschoben worden ist, davon freilich kann wohl jeder Kreisklasse-Kicker berichten. Spätestens am Sonntag wird es wieder so weit sein, denn es wird Schicksal gespielt. In dem meisten Amateurligen des Reviers steht der letzte Spieltag an: Dramen und Tragödien sind programmiert.

Während für die meisten Teams längst die Planung der Abschlussfahrt auf der Agenda ganz oben angelangt ist, geht es für einige noch ums Ganze. Zugegeben: Das ist in der Bundesliga nicht anders. Und beinahe genauso oft wie beteuert wird, dass bis zum Schluss alle Kräfte mobilisiert werden – von wegen Wettbewerbsverzerrung und so. Doch genauso oft staunt die gesamte Liga beim Blick aufs Smartphone nach Spielende, wie der Tabellenfünfzehnte den Dritten doch noch mit 4:1 besiegen konnte. Und was war erst bei diesem 6:5 los?!

Natürlich werden auch in diesem Jahr wieder Spekulationen und Gerüchte ins Kraut schießen. Vermeintlich Benachteiligte werden sich ereifern, Beschuldigte glaubhaft empören und am Ende alles den Lauf der Dinge gehen. Fest steht: Schiebung im Amateurfußball ist Tatsache. Das bestätigt jeder, der jemals dort aktiv war. Eins haben die Mythen und Legenden von erkauften Aufstiegen und Klassenerhalten gemein: Es sind Geschichten vom Hörensagen.

Schauen wir auf die Fakten: Der Sportwissenschaftler Werner Pitsch hat sich mit dem Thema beschäftigt und die Sache ein wenig objektiviert. 2011 ermittelte er in einer Online-Umfrage, dass jeder Siebte der 349 Amateurfußballer und 68 Amateurfußballerinnen, die an der Befragung teilgenommen hatten, selbst von Spielabsprachen betroffen gewesen ist. Und Karrieren im Amateurfußball sind lang. Man muss daher kein Raketenwissenschaftler sein, um zu überschlagen, dass früher oder später wohl jeder, der Fußball als mehr oder weniger ambitioniertes Hobby betreibt, mit der Thematik in Berührung kommt. Die Überraschung und der Aufschrei nach Veröffentlichung dieser Studie hielten sich daher auch in Grenzen. Was die Vermutung nur bestätigt.

Ein Kavaliersdelikt wird zum Geschäftsprinzip

Bestrebungen, die Manipulationen aufzudecken, sind jedoch kaum zu erkennen. Zum einen, weil sich der Studie zufolge wohl auch kaum ein Verein noch nicht die Finger schmutzig gemacht hätte. Zudem kann der Klüngel nur funktionieren, weil er zum Kavaliersdelikt verklärt wird. Nicht immer spielt nur Vorteilsnahme eine Rolle. Mitunter ginge es den Beteiligten bei der Manipulation auch um „die Herstellung des sozialen Friedens“, erklärte Pitsch gegenüber Zeit Online. „Ich habe in Interviews gehört, dass Mannschaft A gegen Mannschaft B absichtlich verloren hat, weil Mannschaft C, der direkte Konkurrent von B, so unsympathisch und unfair ist und sanktioniert werden sollte. So wurde unmoralisches Handeln moralisch begründet. Wir nennen so etwas Neutralisierung.“

Daraus allein lässt sich nun noch kein Gewohnheitsrecht ableiten. Um die Absprachen für sich selbst glaubhaft zu bagatellisieren, geht es niemals darum, sich zu bereichern. Gezahlt wird vornehmlich in Naturalien und Gefälligkeiten. Ein Sieg kostet in der Kreisliga meist nicht mehr als ein paar Kisten für die Mannschaftsfahrt. Dass nur selten Bargeld den Besitzer wechselt, spielt beim Unrechtsbewusstsein eine sicher nicht zu unterschätzende Rolle. Ganz zu schweigen davon, dass es oft ja allein an Medien und einer Öffentlichkeit fehlt, die außerhalb der Dunstglocke des Vereins diese Praktiken hinterfragen würden. Und es ist schließlich kein Verbrechen, am letzten Spieltag der A-Jugend Spielpraxis zu gönnen; einen unglücklichen Elfmeter hat wohl jeder Amateurkicker schon einmal verursacht, Unfälle passieren. Fragen Sie den Mafiapaten ihres Vertrauens.

Plötzlich geht es um Geld – und nicht mehr um Bier

Was bisher jedes kriminellen Zusammenhangs so unverdächtig daherkam, könnte sich vom filzigen Amigo-Prinzip künftig jedoch zu einer bedenklichen Wettaffäre auswachsen. Zumindest die Voraussetzungen sind geschaffen. Eines unterschied die Gerüchte um verschobene Spiele in der achten oder neunten Liga schließlich maßgeblich von den reißerisch angeteaserten größten Wettskandalen aller Zeiten. Es ging selten um Geld. Das ist nun anders. Frintrop. Der Stadtteil im Essener Nordwesten beherbergt gleich drei Bezirksliga-Vereine. Und eine Wettbude, die seit dieser Saison ein besonderes Modell anbietet. Hier und an zwei weiteren Standorten in Essen können Zocker nicht nur auf die Spiele von der 1. Bundesliga bis zur zweiten usbekischen Frauen-Volleyball U19-Liga setzten, sondern seit dieser Saison auch auf die Ergebnisse der Essener Kreis-, Bezirks- und Landesligen. Hat da jemand die Büchse der Pandora geöffnet? Man braucht keine besonders lebhafte Fantasie, um sich auszumalen, wie leich fortan die Mannschaftskasse oder das eigene Privatkonto aufgebessert werden kann. Schließlich steht höchstens der eigene Ruf oder eine Vereinskarriere auf dem Spiel. Ein kalkulierbares Risiko, wenn die Chance auf Tausende Euro in Aussicht steht.

Doch wer betreibt so ein Geschäft und warum? Wir haben uns umgesehen und mit dem Betreiber Frank Hausmann gesprochen, dessen Schwager die Filialen als Franchisenehmer betreibt. Er will das Angebot als besondere Dienstleistung für den Amateurfußball verstanden wissen. Der Spaß stehe dabei im Vordergrund. Sobald auffällig hohe Summen gesetzt würden, seien nur noch Kleinstbeträge zulässig. Allein schon aus Selbstschutz. Ein fader Beigeschmack bleibt jedoch – gerade vor dem Saisonfinale.

Schon im Vorfeld des vorletzen Spieltags am vergangenen Sonntag machten natürlich vielfältige Gerüchte die Runde. Einige Begegnungen standen besonders hoch im Kurs. Kurz vor Toreschluss führte das sogar dazu, dass bei dem Wettanbieter der Alarm anschlug. Eine Paarung wurde mit ungewöhnlich hohen Wetteinsätzen getippt. Rien ne va plus – nichts ging mehr!

Dass ausgerechnet die gewinnversprechende Überraschung, die sich viele ausgerechnet hatten, am Ende nicht aufging, sorgte zwar für Verdruss bei den Tippern. Ist die Ehre des Amateurfußballs damit gerettet? Wohl nur auf Zeit. Es bleiben Fragen. Ist es nicht nur eine Frage der Zeit, bis aus einer versprochenen Sensation eine tatsächliche wird? Und riskiert man dem Angebot nicht fahrlässig den Anreiz, schafft die Gelegenheit, die Aschenkicker zu Wettbetrügern machen könnte? Verliert der Fußball in Essen am Ende einen Teil seiner vermeintlichen Unschuld?

Keine Sorge, wir haben‘s auch etwas kleiner. Das Phänomen, dass Spieler und Vereine versuchen, Einfluss auf den Ausgang von Spielen zu nehmen, ist vermutlich so alt wie ihre Sportart. Doch dass das unmoralische Angebot einer Essener Wettbude polarisiert, lässt sich nicht leugnen. Die Diskussion ist in der Essener Amateurfußball-Community längst ausgebrochen. Dass das Skandälchen am Ende platzte und die Tipper auf die große Überraschung leer ausgingen, klingt zwar wie ein versöhnliches Ende. Doch in der nächsten Woche beginnt das Spiel von vorn. Was übrig bleibt ist in jedem Fall auch: Es geht nicht mehr nur um ein paar Kisten Bier, sondern um eine Handvoll Dollar.

Lesen Sie auf Seite 2: Anbieter Frank Hausmann im Interview

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