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Erstes Länderspiel
"Vom Fußball kriegst du dicke Beine"

Frauen: "Viele wollten nur die Brüste sehen"
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55 Jahre ist es jetzt her, als in Essen das erste Länderspiel einer Frauenfußballnationalmannschaft stattfand. Lore Barnhusen aus Gladbeck war dabei...

Nervös spielt Lore Barnhusen mit ihrem Ring am Finger. Sie dreht ihn von links nach rechts, von rechts nach links, zieht ihn aus, steckt ihn wieder an. Ein Medienprofi ist die 71-Jährige keineswegs. Dabei hat sie bei einer der bedeutendsten Stunden in der Geschichte das Frauenfußballs mitgewirkt: Barnhusen, damals noch Karlowski, spielte am 23. September 1956 beim ersten Länderspiel einer deutschen Frauenfußballnationalmann- schaft mit.

Als Lore Karlowski im zarten Alter von acht, neun Jahren anfing zu kicken, konnten Frauen in Deutschland nur davon träumen einmal organisiert im Verein Fußball zu spielen. Trotzdem war das Mädchen auf der Straße immer eine der Gefragtesten. „Darf die Lore Fußball spielen?“, standen die Jungs damals Schlange vor der Haustür in Gelsenkirchen Buer-Beckhausen. Wenn es darum ging Mannschaften zu wählen, war Karlowski immer eine der ersten. „Ich konnte wohl immer schnell laufen“, erinnert sie sich heute und schaut verlegen zur Seite. Doch nicht nur das gehört zu ihren Stärken.

Blutige Knie und blaue Flecken gehören dazu

Das dunkelhaarige Mädchen mit seinen zwei Zöpfen war auch furchtlos. „Hier hab ich dann auch richtig Fußball spielen gelernt“, weiß Barnhusen. „So richtig mit f ummeln und so.“ Auf dem Spielfeld tummelten sich nämlich damals Jungs aller Altersklassen - „Auch verheiratete Männer waren dabei“ - vor denen sie nicht zurück schreckte.

Stolz präsentiert Lore Barnhusen das Mannschaftsfoto vom Länderspiel 1956. "Fußball ist was feines, es beansprucht Körper und Geist." (RS-Foto: Steffens)

Gekickt wurde auf Asche oder im Dreck und so kam Karlowski das ein oder andere Mal mit blutigen Knien und blauen Flecken nach Hause. „Meine Mutter hat da nicht geschimpft“, sagt die Gladbeckerin beinahe etwas stolz. „Anfangs hat sie mal gesagt: ‚Ein Mädchen und Fußball spielen, davon kriegst du dicke Beine‘, aber mit der Zeit hat sie sich dran gewöhnt.“

Fußball war eine Chance die Welt zu entdecken

Später hat sich Lores Mutter sogar mit ihrer Tochter gefreut, dass sie Fußball spielen konnte. Denn mit circa 13 Jahren schloss sich Karlowski den Frauenfußballerinnen von Kickers Essen an und war von da an am Wochenende unterwegs. Meist ging es ins benachbarte Holland, wo der Frauenfußball einen viel höheren Stellenwert genoss. Ob zu Spielen nach Amsterdam, Scheveningen oder nur kurz hinter die Grenze, die Kickers Essen waren dabei. „Wann ist man damals als Mädchen schon von zu Hause weggekommen? Wir hatten ja nicht mal ein Fahrrad.“ Barnhusen ist sich heute immer noch bewusst, dass das Reisen mit den Fußballerinnen durchaus ein Privileg war. „Wir haben damals viel gesehen“, sagt sie und ihre Augen leuchten, wenn sie an all das zurück denkt. Ihr ist anzumerken, dass die 50er Jahre etwas besonderes für die

Eleganz ist Karlowski beim Fußballspielen in diesem Fall nicht abzusprechen (RS-Foto: Steffens).

Bergmannstochter, ihr Vater arbeitete in der Zeche Nordstern, waren. Wenn sie von ihrer Fußballzeit erzählt, fängt sie beinahe an zu schwärmen. Ihre Liebe zum Fußball war damals wie heute riesengroß.

So nahm die Teenagerin einen beschwerlichen Weg auf sich, damit sie zweimal in der Woche, Dienstags und Donnerstags, trainieren konnte. Von Beckhausen lief Karlowski 20 Minuten nach Horst, wo sie in die Straßenbahn einstieg. Ein paar Haltestellen später musste sie umsteigen in die nächste Straßenbahn, mit der sie eine knappe Stunde bis nach Essen fuhr. Dort ausgestiegen, lief sie dann weitere 20 Minuten zum Fußballplatz. Und dann ging das Training los. Später kam es vor, dass Karlowski nach ihrer Himmelfahrt hin und wieder vor verschlossenen Toren stand.

Vom DFB-Verbot lassen sich die Kickerinnen nicht beeindrucken

Denn am 30. Juli 1955 verbot der DFB auf seinem Parteitag den Frauenfußball: „Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.“ Der DFB wollte die Frauen schützen, doch die wollten nicht geschützt werden und trainierten weiter.

Die Freude auf das Länderspiel und der Stolz, den Bundesadler tragen zu dürfen, sind der 16-Jährigen ins Gesicht geschrieben (Rs-Foto: Steffens).

Ihr einziger Gedanke: „Die spinnen doch!“ Barnhusen erinnert sich: „Wir haben uns da überhaupt keinen Kopf drüber zerbrochen. Wir dachten, irgendwann werden wir schon wieder spielen können.“ Und wenn die Polizei sie dann doch nicht auf den Platz lassen wollte, dann griffen die Kickerinnen eben zu Trick 17. Schließlich hatten sie einen schlauen Busfahrer in ihren Reihen. „Mädels, seid nicht traurig“, hat der gesagt. „Wir drehen ne Runde, die meinen wir fahren weg, und dann kommen wir wieder und alles ist geöffnet.“ Barnhusen lacht herzhaft, als sie sich an die Szene erinnert. „Das höre ich noch als wär‘s heute gewesen.“ Und der Busfahrer behielt recht. Als die Spielerinnen zurück kamen, waren die Tore auf, die Zuschauermeute, die vor dem Platz ausgeharrt hatte, kam rein und das Spiel begann.

17.000 Zuschauer beim Länderspiel - „Das war eine Macht“

Und dann kam ihr großer Tag, der 23. September 1956. Willi Ruppert, der Essener Kaufmann, hatte im Frauenfußball damals die Fäden in der Hand, organisierte für das erste Länderspiel das Stadion Mathias Stinnes auf privatem Grund der angrenzenden Zeche. Gegnerinnen waren, wie sollte es anders sein, die Niederländerinnen. Als die 16-jährige Karlowski sich an diesem Tag zu Fuß nach Essen aufmachte, hätte sie nicht im Traum gedacht, dass sie von einem riesen Publikum erwartet werden würde. Immer noch fällt es ihr schwer zu realisieren, was für ein Interesse die Damen damals geweckt hatten. „17.000 Zuschauer waren da“, schüttelt Barnhusen ungläubig den Kopf. „Das war ja damals ne Macht gewesen.“ Zunächst gab es für die Mädels in der Kabine schwarze Hosen und weiße Trikots mit dem Bundesadler auf der Brust. Karlowski war besonders stolz auf ihre schwer verdienten Fußballschuhe mit Stahlkappe, für die sie lange beim Bauern Kartoffeln gesammelt und für die Nachbarin Kohlen geschüppt hatte. „Den Rest hat mir meine Mutter dann noch dazu gegeben“, sagt sie.

Im Essener Stadion Mathias Stinnes fand am 23. September 1956 das erste Frauenfußballländerspiel statt (RS-Foto: Steffens).

Als es dann für die Protagonistinnen raus aufs Spielfeld ging, stieg bei den meisten die Nervosität ins unermessliche und bei der ein oder anderen floss sogar eine Träne. „Ich glaub, ich hab sogar ein bisschen gezittert. So viele Leute auf einmal...“, gibt Barnhusen ihren Gemütszustand von vor 55 Jahren Preis. Doch nach der Nationalhymne und dem Anpfiff war die Anspannung verflogen.

Brüste gucken

Die Fußballerinnen zeigten, was sie drauf hatten und ließen auch ihre größten Kritiker verstummen. „Viele kamen ja, um die Brüste zu gucken, das haben wir uns schon gedacht. So sind die Männer.“ Den Protagonistinnen war das jedoch egal. „Wir haben nur den Ball gesehen und wollten Fußball spielen“, sagt Barnhusen, der ihr Nationalmannschaftsdebüt bestens gelang. 2:1 gewannen die Deutschen gegen die Holländer. Karlowski spielte damals mit der Rückennummer vier auf Linksaußen. An das 1:0 erinnert sich die gelernte Näherin noch gut. „Da hatte ich die Flanke von halb Links gegeben und die Lotti hat den Ball dann rein gemacht.“ Die Erinnerungen zaubern der heute 71-Jährigen erneut ein breites Lächeln auf die Lippen. Auch, wenn ihr damals nicht bewusst war, dass sie ein Stück Fußballgeschichte geschrieben hat, wird es ihr im Nachhinein immer klarer. „Leider ist schon so viel in Vergessenheit geraten“, sagt Barnhusen wehmütig.

Plötzliches Aus einer Fußallerkarriere

Die Fußballerinnen der Kickers Essen. Barnhusen (u.l.): "Vor der Torhüterin hatte ich immer Angst. Die sah aus wie ein Mann." (RS-Foto: Steffens).

Traurig ist sie auch, weil nach dem Länderspiel plötzlich alles vorbei war. Ruppert, der auch Trainer der Kickers Essen Damen war, hatte viel Geld durch den Fußball eingenommen und machte sich nach der Partie Hals über Kopf aus dem Staub. „Ich war noch zum Training gewesen und da hat man uns das erzählt. Die meinten, der wäre zur Ostzone, hätte für sich einen Wagen gekauft und für seine Frau einen Pelzmantel.“ Ob es wirklich stimmt, weiß sie nicht. Für Karlowski war es jedenfalls das Ende ihrer Karriere auf dem grünen Rasen. „Es gab noch Vereine in Dortmund und Krefeld. Aber das war zu weit weg. Wir hatten ja damals keinen Wagen.“

Heute juckt es der Seniorin, die inzwischen mit ihrem Mann Ewald in Gladbeck-Ellinghorst wohnt, manchmal noch in den Füßen. Wenn sie sich ein Spiel des FCR 2001 Duisburg im Stadion ansieht, dann würde sie gerne noch einmal gegen den Ball treten. Und auch im Fernsehen fiebert sie mit den Fußballerinnen mit. Sei es beim Champions League Finale der Potsdamerinnen oder bei Länderspielen der Nationalmannschaft, sie betrachtet das Spiel aus Sicht der Akteurinnen und hat für Fehler vollstes Verständnis. „Manchmal passiert so was. Man ist ja dann vielleicht auch aufgeregt“, erinnert sich Barnhusen dann an ihre Fußballauftritte und bekommt ein Leuchten in den Augen.

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