Das ist für mich tendenziell Boulevard-Journalismus. Ich betone dagegen die anderen Aspekte: Libuda war ein charismatischer und genialer Fußballer, der mit dieser Fähigkeit Menschen viel Freude gebracht hat und ihnen in Erinnerung geblieben ist. Wie hat er diese Fähigkeit ausgebildet? Welche Rolle spielte dabei das soziale Milieu, aus dem er kam, und welche Vorraussetzungen müssen in einem Verein da sein, damit ein Spieler einen guten Weg gehen kann? Das waren meine Leitfragen und deswegen hört die Biografie mehr oder weniger auch mit Libudas letztem Spiel im Parkstadion auf.
Aber spielt für den „Mythos Libuda“ nicht sein späteres Scheitern eine Rolle?
Reinhard Libuda vor der Zeche Consolidation in Bismark.
Was heißt das überhaupt: Ein gescheitertes Leben? Das eine Messlatte, die von außen dran gelegt wird. Er wollte als aktiver Fußballer den Medienbetrieb nicht mitmachen und auch später seinen Ruhm nicht vermarkten. Das war nicht „Scheitern“, sondern eine bewusste Entscheidung. Dass sich seine private Situation in den Zeiten der Scheidung dramatisch zuspitzte, steht dabei außer Zweifel. Aber es war nur eine Phase in einem allerdings leider nur sehr kurzen Leben. Als er starb, war Libuda sicher kein reicher Mann, aber er war auch nicht so isoliert und allein, wie es in der Thielke-Biografie dargestellt wird. Um mit einem anderen Buchtitel zu sprechen: Es waren eben nicht alle Beckenbauers, und Stan Libuda war nur ein ganz normaler Mensch - mal gut, mal böse, mal genial, mal ganz einfach.
Im Mittelpunkt Ihrer Recherche taucht immer wieder der Haverkamp auf, der Stadtteil in Gelsenkirchen Bismark, in dem Libuda scheinbar zeitlebens sein Zentrum sah.
Der Haverkamp war sein Zuhause, wo er sich auch wohl gefühlt hat. Für die Kinder war der Haverkamp ein umfassendes Trainingsgelände, denn überall wurde gekickt. Fußballer wie Walter Zwickhofer, Karl Borutta, Dieter Miez und eine ganze Reihe guter Amateurspieler kamen aus dieser sozialen Idylle. Für Libuda war der Haverkamp eine Insel, hier fühlte er sich geborgen und sicher. Ich selbst stamme aus dem benachbarten Bickern und habe als Kind den Haverkamp auch so erlebt. Ich habe mit vielen seiner Freunde gesprochen, die mir ein ganz anderes Bild zum schüchternen, zurückgezogenen Libuda vermittelten: Einen gelösten Menschen voller Humor, der als Kind boxte und in die Karnevalsbütt stieg und einen ganzen Saal zum Lachen brachte. Aus diesem Milieu kam er, und deswegen habe ich den etwas euphorischen Begriff benutzt: Held der Arbeiterklasse. Für die Zuschauer in der Glückauf-Kampfbahn war Libuda einer aus Gelsenkirchen, „einer von uns“. Auch wenn er keine Autogramme gab und mit seinem Fahrrad schnell wieder in Haverkamp verschwand, hat man sich doch mit ihm identifiziert.
Norbert Kozicki: Reinhard Stan Libuda. Ein einfacher Junge aussem Kohlenpott. Eine Fußball-Biografie, Beluga New Media, EUR 19,90.
Woher kamen nun diese Rückzugstendenzen?
Gerade für Libudas Karrierebeginn habe ich die komplette Presse durchgearbeitet. Er war halt auf dem Platz einmal Weltklasse, einmal Kreisklasse, und so gingen auch die Kommentatoren mit ihm um. Zwischen berauschter Huldigung und gnadenlosen Verriss lagen manchmal gerade sieben Tage. Libudas persönliche Rückzugstendenzen wurden dadurch verstärkt. Vielleicht entsprach dies auch dem Haverkämper Denken: Entweder gut oder böse, weiß oder schwarz. Sofort nach dem Training ist er dort wieder hingefahren und hat ja auch, bis ihn Trainer Ivica Horvath zum Kapitän gemacht hat, nie Verantwortung für den Verein übernommen. Er hat sich mit seinem Lebensentwurf von den Anforderungen eines Fußball-Profis distanziert und stand der Presse und der Öffentlichkeit eben nicht zur Verfügung. Damit lag er quer zum gängigen Bild des Fußballprofis – selbst in den noch harmlosen 1970er Jahren. War Libuda ein „Gegenentwurf“ zum Profi-Fußballer?
Das wäre zu viel gesagt und entspräche wohl eher unseren romantischen Wunschvorstellungen. Libuda hat ja auch die Annehmlichkeiten genossen und ist mit seinem Porsche Cabrio durch den Haverkamp gefahren. Rolf Rüssman hat kürzlich gesagt: „So etwas, was damals mit dem Stan passiert ist, würde heute nicht mehr passieren, da er sofort einen Berater an seiner Seite hätte – quasi als Manager und Sozialarbeiter.“ Aber vom Außenstürmer zum Außenseiter ist es eben nur ein kleiner Schritt. In späteren Jahren besuchte Libuda oft mit seinem Fahrrad eine Kneipe in Wanne, und der Wirt, Werner Flachert, hat mir erzählt, dass der Stan immer gesagt hätte: „Werner, Du kannst mit mir über alles reden, aber nicht über Fußball!“