Als die Arbeit am späten Abend im Hotel „Concorde de Luxe Resort“ in Antalya schon verrichtet war, gab es die eine oder andere Verlockung, der Andreas „Chappy“ Schröder (46) widerstehen musste.
Rund 100 Fans von Drittligist Rot-Weiss Essen hatten sich im Trainingslager in der Türkei für eine Woche das luxuriöse 5-Sterne-Hotel mit der Essener Mannschaft und deren Mitarbeitern geteilt. Schröder sehen die Fans noch als einen von ihnen, einen RWE-Anhänger, der nun aber selbst und mit breiter Brust das RWE-Emblem auf seiner Arbeitskleidung trägt.
„Chappy, lass uns einen trinken“, bekam er das eine oder andere Mal zu später Stunde von alten Freunden aus der Kurve zu hören. Zumeist musste Schröder freundlich ablehnen. Er sei schließlich zum Arbeiten hier.
Dieses kleine Opfer bringt Schröder gerne. Denn der 46-Jährige hat sich mit seinem neuen Job als Zeugwart bei Rot-Weiss Essen einen Traum erfüllt. Seit dem 6. Dezember des vergangenen Jahres gehört er dem Funktionsteam der RWE-Profis an, zuvor spielte der ehemalige Amateurfußballer hin und wieder in der Traditionsmannschaft der Rot-Weissen. Der Verein suchte zum Jahresende einen neuen Zeugwart, nachdem Andreas Ganzinger den Klub verlassen hatte.
Rot-Weiss Essen: Überraschender Anruf für „Chappy“
Im Kreise der Traditionsmannschaft sei das Thema aufgekommen, erinnert sich Schröder. Dann sei alles sehr spontan und schnell gegangen. „Ein paar Tage später bekam ich einen Anruf von Alexander Rang. Er sagte: ‚Andreas, kannst du dir vorstellen, bei uns Betreuer zu werden?‘ Ich bat ihn darum, eine Nacht darüber zu schlafen. Meine Frau war erst skeptisch, weil ich viel unterwegs sein würde mit RWE. Aber sie hat schnell eingelenkt, weil sie weiß, dass das mein Herzensverein ist. So eine Chance bekomme ich vermutlich nie mehr.“
Mit dem Segen der Ehefrau sagte der Familienvater am Tag darauf zu. „Chappy“ ließ sich für sein RWE-Abenteuer in seinem Hauptjob bei den Entsorgungsbetrieben Essen zunächst für ein halbes Jahr freistellen. „Wir wollen bis zum Saisonende schauen, ob es für beide passt. Mein Dank gilt den Essener Entsorgungsbetrieben, die mir diese Chance ohne Probleme ermöglicht haben“, betont er. Sein Zusatz: „Ungern“ hätte man ihn ziehen lassen.
RWE-Team verlässt sich auf Zeugwart Schröder
Nun ist der glühende RWE-Fan seit sechs Wochen Angestellter von Rot-Weiss Essen und mittendrin im Geschehen. Vor allem im Trainingslager in der Türkei war Schröder schon morgens auf Betriebstemperatur. Zwei Einheiten standen an einigen Tagen auf dem Programm. Das umfangreiche Trainingsmaterial musste bereitstehen, die Wäsche nach den Einheiten ordentlich sein. Ein komplettes Profiteam samt Trainerstab verlässt sich im Alltag auf ihn, das ist „Chappy“ bewusst. Der 46-Jährige macht bei der Arbeit einen konzentrierten, aber keinen nervösen Eindruck. Eine positive Arbeitsmoral zeichnet ihn aus. „Ich bin der Erste und der Letzte, nicht nur im Trainingslager. Ich muss alles für das Training vorbereiten, die Jungs müssen ihre Sachen haben. Es ist wichtig, wirklich nichts zu vergessen.“
Schröders Erfahrung als Aktiver spielt dabei eine wichtige Rolle. „Ich bin selbst Fußballer und weiß, was die Jungs brauchen“, erklärt er. Bis zur A-Jugend spielte der gelernte Stürmer für RWE, später im Seniorenbereich reichte es für die Landesliga. „Ich war ein Knipser, aber lauffaul, da mache ich mir gar nichts vor“, räumt Schröder ein, der in der Essener Fußballszene einen guten Ruf genießt. In Essen ist er bekannter als der eine oder andere Profi aus dem RWE-Kader. Auch die Spieler schätzen ihn. „Der Chappy ist ein geiler Typ, sehr entspannt und offen“, sagt Stürmer Dominik Martinovic, der Schröder erst im Trainingslager kennengelernt hat.
Für Martinovic und Klaus Gjasula hatte sich „Chappy“ am Tag vor der Abreise in die Türkei mächtig ins Zeug legen müssen. Beide Spieler wurden erst unmittelbar vor dem Abflug verpflichtet. Hinter den Kulissen musste ein Rädchen ins andere greifen. Schröder gewährt einen Einblick in die Arbeit, die nicht viele Menschen mitbekommen. „Die Jungs brauchten ein beflocktes Trikot für die Vorstellung, das habe ich dann schnell erledigt. Auch die Trainingsklamotten habe ich beflockt. Der Sonntag vor der Abreise war echt stressig. Aber trotzdem geil.“
Rot-Weiss Essen: Schröder sitzt jetzt auf der RWE-Bank
Stress ist Teil des Jobs als Zeugwart bei einem Profiklub, das weiß Schröder. Als „Fußballverrückter“ wolle er mit positivem Beispiel vorangehen. Er genießt vor allem die persönlichen Vorteile, die der Job bei RWE mit sich bringt. „Ich habe die Spiele immer von der Tribüne aus verfolgt. Es ist was anderes, wenn man live unten auf der Bank sitzt. Das ist einfach geil.“ Schröder sei fast überall dabei, mit großem Interesse verfolge er die Ansprachen vor den Einheiten oder Spielen. Dabei erkenne er den deutlichen Unterschied zwischen dem Amateur- und dem Profifußball. „Bei den Amateuren sitzen 20 Mann vor dem Spiel in der Kabine, die gar nicht zuhören. Hier sind alle mucksmäuschenstill und hochkonzentriert.“
Professionell ist auch der tägliche Umgang mit den Spielern. „Bei der Wäsche muss ich mal eine Ansage machen, aber dann läuft das auch. Ich muss keinem hinterherrennen“, betont der RWE-Zeugwart. Den Respekt der Spieler hat er sich in der Kürze der Zeit schnell erarbeitet, auch wenn „Chappy“ dafür nicht sonderlich viel tun musste, wie er einräumt: „Hier im Profibereich haben alle Respekt, dann werden die Bälle ohne Gemecker geschleppt, das ist bei den Amateuren anders.“
Rot-Weiss Essen: „Chappy“ glaubt an den Klassenerhalt
Was Schröder und der Mannschaft jetzt noch fehlt, sind die Ergebnisse in der Meisterschaft. RWE musste auf einem Abstiegsplatz überwintern, am Sonntag begann die Mission Klassenerhalt mit einer bitteren 0:2-Pleite bei Alemannia Aachen. Trainer Uwe Koschinat und seine Eindrücke im Laufe der Vorbereitung bestärken „Chappy“ dennoch in dem Glauben, dass der Abstieg in die Regionalliga noch verhindert wird. „Unter Uwe schaffen wir das. Der hat die Jungs im Griff, das wird klappen. Es gibt keine Unruhe in der Mannschaft, die Jungs sind fokussiert.“
Auch der RWE-Zeugwart ist in seinen ersten Wochen an der Hafenstraße mit gutem Beispiel vorangegangen. Sollte Rot-Weiss Essen Drittligist bleiben, wird sich „Chappy“ nach der Saison auch sicher wieder etwas Zeit für die Fans nehmen.