Aufruhr in den Medien, hitzige Diskussionen unter den Fans - und der eigene Klub unter Druck: Jos Luhukay hat mit seiner Wutrede den Hamburger Kiez zum Beben gebracht. „Es war ein Monolog wie ein Vulkanausbruch“, schrieb das Hamburger Abendblatt am Montag. Die schonungslose Abrechnung des Niederländers mit seinem FC St. Pauli überschattet den Saisonstart in der 2. Fußball-Bundesliga.
Von absoluter Zustimmung bis hin zum möglichen Entlassungsgrund - die Anhänger der Hamburger kommentierten Luhukays außergewöhnlichen Auftritt in den Internetforen vor dem Auftaktspiel bei Arminia Bielefeld kontrovers. Die Bild-Zeitung titelte: „Luhukay zerlegt St. Pauli“, die Hamburger Morgenpost schrieb von einem „wohl einmaligen Vorgang in der mehr als ereignisreichen Geschichte“ des FC St. Pauli.
Tatsächlich geriet die Pressekonferenz zu einem denkwürdigen Schauspiel. Von Zuversicht oder gar Vorfreude auf seinen ersten Saisonstart bei und mit den Kiezkickern war bei Luhukay nichts zu spüren, stattdessen nahm er den gern als „etwas anders“ beschriebenen und mit dieser Philosophie kokettierenden Verein auseinander.
Zu viel „Bequemlichkeit“, zu viel „Komfortzone“ und überhaupt gehe zu viel darum, „miteinander befreundet zu sein“, schimpfte Trainer-Tausendsassa Luhukay, der das Kommando bei den Braun-Weißen erst am 11. April übernommen hatte. Diese Aspekte seien für ihn „nicht akzeptabel“, Komfortzone und Bequemlichkeit sollte man „in die Mülltonne werfen. Das gilt in allen Bereichen.“ Rumms.
Diese „niederschmetternde, öffentlich vorgetragene Bestandsaufnahme“ (Abendblatt) dürfte bei den Spielern und den Bossen um Präsident Oke Göttlich ankommen - die Frage ist nur, wie. Eine öffentliche Reaktion steht bislang aus.
Jos Luhukay ist ein Mann der klaren Worte. Schon in seiner Zeit beim VfB Stuttgart kritisierte er die Klubphilosophie scharf. Dort folgte dem öffentlichen Knatsch vor ziemlich genau drei Jahren der große Knall: Nach nur 121 Tagen Amtszeit war die Zusammenarbeit beendet, Luhukay trat trotz Vertrags bis 2019 zurück.
So weit ist es auf dem Kiez (noch) nicht. Doch Luhukay meint es verdammt ernst, daran lassen seine Worte keinen Zweifel. „Es sind keine Vorwürfe, es ist die Realität. Ich habe niemanden persönlich angesprochen. Ich kann noch tiefer gehen, müsste dann aber persönlich werden. Das möchte ich nicht“, sagte Luhukay. Der ganze Klub müsse in Sachen Professionalisierung eine „höhere Bereitschaft an den Tag legen. Das gilt in allen Bereichen, ob im Scoutingbereich oder beim NLZ oder im Profibereich“.
Auch die eigenen Profis bekamen ihr Fett weg. „Man muss sich an den Kopf fassen, wie man Ziele nennen und Erwartungen wecken kann, wenn 70 Prozent der Spieler nicht in der Lage sind, mehr als 15 Spiele zu machen“, polterte Luhukay. Für sein Team sei es in der momentanen Konstellation unmöglich, unter die ersten Vier zu stoßen. „Alles über Platz neun wäre ein großer Erfolg“, sagte der 56-Jährige. Es könne auch sein, dass St. Pauli „gegen den Abstieg spielt“. sid