Dieser Mann ist ein Phänomen: Während die meisten Südamerikaner mehrere Monate, meist sogar ein ganzes Jahr benötigen, um in der Bundesliga Fuß zu fassen, ist Lucas Barrios schon nach wenigen Wochen beim BVB angekommen.
Gegen Werder Bremen gelang ihm sein fünfter Liga-Treffer im fünften Spiel hintereinander. Insgesamt hat der 24-Jährige damit bereits neun Pflichtspiel-Tore für seinen neuen Klub erzielt - in nur 15 Partien (zwölfmal Bundesliga, dreimal DFB-Pokal). Überrascht sind darüber fast alle, nur der Stürmer selbst gibt sich betont cool: „Das ist eine ganz gute Quote.“
Dass der Argentinier so gut einschlagen würde, damit war trotz der beeindruckenden Referenzen, die der Angreifer von seiner letzten Station in Chile mitbrachte, nicht zu rechnen: 37 Treffer in 38 Partien erzielte er in der Vorsaison für seinen Klub CSD Colo Colo, doch Barrios‘ Start in Dortmund verlief zunächst holprig. Nach zwei frühen Treffern in einem Freundschaftsspiel in Koblenz und im DFB-Pokal in Weiden fiel der „Welttorjäger“ des Jahres 2008 in ein Loch. Schnell wurden im Boulevard Stimmen laut, der „Panther - für 4,2 Millionen Euro verpflichtet - sei nicht mehr als ein zahnloser Stubentiger.
Doch weder Barrios noch die BVB-Verantwortlichen ließen sich davon verunsichern. „Wir sind ruhig geblieben, als die ersten Überschriften kamen“, bilanzierte Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc nach der Partie in Bremen: „Wir waren uns relativ sicher, dass er sich durchsetzen wird.“ Auch der Goalgetter selbst wirkte im Training stets so, als wären ihm Selbstzweifel fremd. „Ich habe immer an mich geglaubt“, versichert der Stürmer heute: „Ich wusste, meine Zeit wird kommen.“
Diesen Satz hat man mittlerweile schon oft gehört - Barrios benutzt ihn in jedem der zahlreichen Interviews, die er mittlerweile geben muss. Doch die stete Wiederholung - fast mantraartig - scheint zu wirken: Kein Bundesliga-Stürmer traf in den letzten Partien häufiger ins Tor als Barrios. Selbst Liga-Toptorjäger Stefan Kießling (8 Treffer) vom Tabellenführer Bayer Leverkusen muss sich mittlerweile vor dem Dortmunder Hoffnungsträger in Acht nehmen.
Wie wertvoll Barrios inzwischen für den BVB geworden ist, lässt sich nicht nur daran ablesen, dass bereits über 5.000 schwarz-gelbe Leibchen mit dem Schriftzug „Lucas“ und der Nummer „18“ über die Theke in den BVB-Fanshops gingen. Allein dreimal in den letzten fünf Spielen erzielte der Stürmer die wichtige 1:0-Führung.Insgesamt brachten seine Tore der Borussia in den letzten fünf Partien je nach Rechnung entweder fünf oder sogar elf Zähler ein - ein Spitzenwert, den nicht einmal Frei in seinen Anfangstagen beim BVB erreichte.
Wer nach dem Abgang des Schweizers munkelte, dem Team von Jürgen Klopp fehle ein echter Torjäger, musste sich inzwischen eines besseren belehren lassen. Noch muss Barrios zwar nachweisen, dass er seine Klasse über einen längeren Zeitraum in Tore ummünzen kann, doch die Bilanz der ersten Wochen ist vielversprechend.
Eine gewichtige Rolle dürfte dabei auch das neue 4-2-3-1-System spielen, das Klopp seiner Elf nach dem Ausfall von Spielmacher Tamas Hajnal verordnete. Als einzige echte Spitze muss Barrios deutlich weniger mit nach hinten arbeiten als zuvor im System mit zwei Stürmern. Die Defensivarbeit, die Klopp auch von seinen Spitzen einfordert, war Neuland für den 1,87 Meter großen Torjäger, der freimütig zugibt: „So etwas kannte ich aus Südamerika überhaupt nicht. Dort war ich nur fürs Toreschießen zuständig.“
Doch Barrios, der am Freitag seinen 25. Geburtstag feiert, scheint schnell zu lernen: In Bremen ackerte sich der Angreifer ins Spiel, nachdem er in der ersten Hälfte kaum ein Ball bekommen hatte. Nicht selten war der Stürmer am Sonntag in der eigenen Hälfte zu finden - und fehlte trotzdem nicht, als seine Dienste im gegnerischen Strafraum gefordert waren.
Nicht nur während der 90 Minuten auf dem Platz, sondern auch anschließend vor den Mikrofonen übernimmt Barrios die für Stürmer nicht immer selbstverständliche Rolle des Teamplayers. Nach seinem Tor gegen Werder bedankte er sich artig bei der Mannschaft für „die hervorragende Arbeit“, die es ihm erst ermöglichen würde, seine Tore zu erzielen.
Überhaupt scheint sich Barrios, der aufgrund einer leichten Grippe am Mittwoch mit dem Training aussetzte, nicht von dem Rummel um seine Person anstecken zu lassen. „Ich bin seit sieben Jahren Profi“, gibt er zu Bedenken: „Ich kenne das Geschäft, auch wenn das Medienaufkommen in Deutschland extremer ist als zuletzt in Chile.“
Und er weiß auch, dass sich der Wirbel um seine Person so schnell wieder legen kann, wie er nach den ersten Toren aufgewühlt wurde: „Gerade als Stürmer kennt man das doch. So lange du triffst, reden alle über dich. Aber sobald du dann mal zwei oder drei Spiele kein Tor erzielst, heißt es sofort, du könntest nichts.“