Als Horst Heldt im Mai 2016 Schalke 04 verlassen musste, weil sein Vertrag als Manager nicht mehr verlängert wurde, konnte er beim Abschied Tränen nicht verbergen. Schalke war ihm in sechs Jahren ans Herz gewachsen. Seit März 2017 arbeitet der 47-Jährige bei Hannover 96, und nach dem Aufstieg trifft er nun schon am zweiten Bundesligaspieltag mit seinem neuen Klub auf seinen ehemaligen (Sonntag, 18 Uhr/Sky). Bei aller Professionalität weiß Horst Heldt: Auch diesmal werden Emotionen im Spiel sein.
Sie haben in dieser Woche noch schnell den brasilianischen Stürmer Jonathas verpflichtet – den mit neun Millionen Euro Ablöse teuersten Spieler der Geschichte von Hannover 96. Sie scheinen unbedingt gegen Schalke gewinnen zu wollen... Horst Heldt: (lacht) Ich will jedes Spiel unbedingt gewinnen. Ich kann Ihnen versichern: Diese Verpflichtung hätten wir auch gemacht, wenn wir am Sonntag einen anderen Gegner zu Gast hätten.
Hannover ist als Aufsteiger mit einem Auswärtssieg in Mainz gestartet und hat nichts zu verlieren, weil Schalke als Favorit gilt. Eine günstige Lage? Natürlich sind wir klarer Außenseiter. Schalke hat eine sehr starke Mannschaft, und der Aufsichtsratsvorsitzende hat ja sogar die Champions League als Ziel ausgegeben. Aber wir freuen uns darüber, dass wir uns wieder mit solchen Gegnern messen dürfen. Unsere Mannschaft hatte einen tollen Auftakt und kann selbstbewusst ins Spiel gehen.
Ihr Abschied von Schalke verlief hochemotional. Was geht in Ihnen in diesen Tagen vor? Und wie werden Sie sich am Sonntag fühlen? Es ist gut, dass ich zurzeit ganz viel zu tun habe. Aber ich kann jetzt schon sagen, dass ich mich auf viele Schalker freue – auf Mitarbeiter, auf Spieler, auch auf die Fans. Es wird ungewohnt sein, nicht mehr ein Teil von ihnen zu sein. Wie emotional es am Sonntag werden wird, das lasse ich auf mich zukommen. Aber eines ist klar: Ich werde alles versuchen, meinen Teil dazu beizutragen, dass wir mit Hannover 96 dieses Spiel gewinnen werden.
Rückblickend war Ihre Zeit auf Schalke... …ein absoluter Mehrwert für mein Leben.
Das müssen Sie bitte erklären. Ich war sechs Jahre lang Teil von einem verrückten Verein – und das meine ich nicht abwertend. Schalke ist Fußball in Reinkultur. Hautnah, sehr emotional, packend, fesselnd. Schalke ist mehr als das Spiel. Es ist einfach toll, dass ich da etwas mitgestalten konnte.
In Ihrer Zeit wurde Jahr für Jahr ein internationaler Wettbewerb erreicht. Ihr Nachfolger Christian Heidel hat mit seinem Wunschtrainer Markus Weinzierl Platz zehn erreicht. Haben Sie Genugtuung verspürt? Ich bin weit davon entfernt, das zu bewerten. Und ich will mein Handeln nicht mehr verteidigen, das ist nicht mehr wichtig. Meine Zeit dort ist zu Ende, ich identifiziere mich jetzt mit Haut und Haaren mit Hannover 96. Und zwar nicht, weil man das von mir erwartet, sondern weil ich so bin. Wenn ich es schaffe, auch hier diese wahrhafte Identifikation und Leidenschaft zu entwickeln, dann weiß ich, dass ich einen guten Job gemacht habe. Aber das Ganze muss wachsen. Nach fünf Monaten kann ja nicht schon alles so sein wie in den sechs Jahren vorher.
Bei Ihrem Abschied auf Schalke haben Sie eingeräumt, es sei ein Fehler gewesen, sich manchmal nicht deutlich genug positioniert zu haben. In Hannover sind die Strukturen ähnlich, da haben Sie wieder einen dominanten Klubchef. Treten Sie gegenüber Martin Kind anders auf als früher gegenüber Clemens Tönnies? Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Ich kann nur sagen, dass ich mit Clemens Tönnies eine erfolgreiche Zeit hatte und diesem Mann sehr viel zu verdanken habe, auch wenn unsere Meinungen im letzten Jahr auseinandergingen. Ich habe den größten Respekt vor seiner Lebensleistung. Und was Martin Kind betrifft: Die Zusammenarbeit mit ihm ist exzellent. Sie ist intensiv und vertrauensvoll. Er ist sehr reflektierend, hat sehr viel Lebenserfahrung und steckt unfassbar viel Energie in den Verein – mehr, als ich es je bei einem anderen erlebt habe.
Nachdem er Sie im März holte, haben Sie André Breitenreiter als Trainer verpflichtet. Das war verwunderlich, weil es in Ihrem gemeinsamen Jahr auf Schalke Unstimmigkeiten gegeben hatte. Es war aufgrund der Begleitumstände kein einfaches Verhältnis damals. Aber es ging allein darum, für Hannover 96 die richtige Entscheidung zu treffen. Wir haben die Zeit auf Schalke komplett aufgearbeitet, alles wurde ausgeräumt. Heute passt kein Blatt Papier mehr zwischen uns. Und an meiner Einschätzung, dass er ein exzellenter Trainer ist, hatte sich ja ohnehin nichts geändert. Ich weise darauf hin, dass er der einzige Trainer in Deutschland ist, der im Jahr 2017 noch kein Pflichtspiel verloren hat, und ich bin begeistert davon, mit welcher Gelassenheit einerseits und Zielstrebigkeit andererseits er arbeitet. Ohne ihn wäre Hannover 96 nicht aufgestiegen.
Aktuell hat Hannover ein großes Problem: Traditionsbewusste Fans lehnen sich dagegen auf, dass Martin Kind die Anteilsmehrheit an der Profigesellschaft übernehmen will. Beim Sieg in Mainz schwiegen die Fans. Belastet das die Arbeit von Manager, Trainer und Spielern? Ja, das ist eine komplizierte Situation. Es ist sehr schade, dass sich die Fans dazu entschieden haben, die Mannschaft nicht zu unterstützen. Ich respektiere jede Meinung, man kann diskutieren und auch mal streiten. Aber der gemeinsame Nenner muss immer der Klub sein. Und wenn der tatsächlich über allem steht, dann sollte die Unterstützung der Mannschaft doch wohl selbstverständlich sein.
Stürmer Martin Harnik hat gesagt, ihm graue es davor, sich vorzustellen, dass die Fans auch beim Heimspiel gegen Schalke am Sonntag ruhig sind. Ist das zu befürchten? Davon müssen wir leider ausgehen. Wir versuchen jetzt, das zu beeinflussen, was wir beeinflussen können, und das ist die Leistung auf dem Platz. Wir können uns nur auf uns selbst verlassen, die Mannschaft steht eng zusammen.
Das Saisonziel heißt sicher Klassenerhalt. Und danach? In der Tat kann für uns als Aufsteiger nur der Klassenerhalt das Ziel sein. Und das wird schon sehr schwer, denn die Liga ist sehr ausgeglichen. Ich glaube, dass Bayern Meister wird, aber vieles andere ist nicht sicher. Für die Zukunft wollen wir uns etablieren, damit wir perspektivisch in einigen Jahren wieder an die Tür zu den internationalen Plätzen klopfen können. Für mich ist der 1. FC Köln ein gutes Beispiel dafür, wie das auch nach einem Abstieg Schritt für Schritt gelingen kann. Es ist möglich. Nicht heute, nicht morgen, aber übermorgen.
Sie haben in Hannover den Auftrag, auch die Jugendarbeit auszubauen. Da ist es sicher hilfreich, auf Schalke gearbeitet zu haben. Die Knappenschmiede hat sich als Vorzeigeprodukt entwickelt, und das über Deutschland hinaus. Aber das haben andere mitbekommen, und deshalb sind sie – wie zum Beispiel der Reviernachbar – auf die Idee gekommen, diese Vormachtstellung zu beenden. Für Hannover 96 muss Nachwuchsarbeit ein ganz wesentlicher Bestandteil sein, Martin Kind hat ein wunderschönes Leistungszentrum gebaut, und das wird sich in einigen Jahren auszahlen.
Schalke musste die Besten aus dem eigenen Nachwuchs immer wieder ziehen lassen: Neuer, Draxler, Sané, zuletzt Kolasinac. Ist das nicht frustrierend? Alle Vereine in Deutschland außer Bayern sind Verkaufsvereine. Alle verlieren Top-Talente, wenn die sich richtig gut entwickelt haben. Aber es muss sich dann wenigstens lohnen. Man muss sich nicht dafür schämen, wenn man sich selbst als Ausbildungsverein bezeichnet. Es ist ein lohnendes Modell, es verhindert ja nicht den Erfolg. Man kann, wie wir auf Schalke gesehen haben, trotzdem die Champions League erreichen.
Wo stehen Schalke und Hannover am Ende der Saison? Es wäre nicht authentisch, wenn ich sagen würde, dass es mir egal ist, wo Schalke landet. Ich wünsche diesem Verein für die Zukunft nur das Beste. Aber für mich hat es oberste Priorität, dass Hannover 96 in der Bundesliga bleibt.