Es ist doch zum Verzweifeln in diesen Tagen. Da wäre zum einen die Länderspielpause. Wochenlang quält man sich als Fußballfan durch die bundesligafreie Zeit, nervt seine Angehörigen mit schlechter Laune, Entzugserscheinungen und saugt jedes noch so bedeutungslose Testspiel des eigenen Klubs auf wie ein Vampir das Blut. Kaum hat man sich dann in der so heiß geliebten Symbiose aus Gebrüll, Kneipengeruch, purem Enthusiasmus und schierer Verzweiflung aufs Neue akklimatisiert, gilt es von jetzt auf gleich wieder runterzukommen und einmal mehr eine alternative Wochenendgestaltung in Angriff zu nehmen.
Länderspiel ist angesagt, derer sogar zwei. Deutschland gegen Südafrika und gegen Aserbaidschan, da kommt Freude auf. Erschwerend kommt für Freunde des ballspielenden Vereins aus Dortmund hinzu, dass schon seit gefühlten Dekaden kein Borusse mehr das Trikot mit dem Adler auf der Brust getragen hat. Doch trotz der Tatsache, dass sich bei Fußballfans der Patriotismus eher auf den Verein denn auf die Nation richtet und Länderturniere lediglich eine willkommene Verkürzung der Wartezeit auf das eigentlich Wesentliche bedeuten, schaut man sich die Partien gegen Fußball-Entwicklungsländer dann - im Gegensatz zu den “oh, es ist WM - ich bin dann mal wieder Fußballfan“-Menschen - schon allein aus Pflichtbewusstsein und Liebe zum Sport an.
Und so schlimm war es dann ja im Endeffekt auch nicht. Den blauen Westermann galt es nur eine Halbzeit zu ertragen, Manuel N.'s nette Erscheinung war ebenfalls nur unwesentlich im Bilde, mit Steven Pienaar trat zumindest ein Ex-Borusse an, und zwei nette Tore gab es obendrein.
Darüber hinaus besitzt der Gedanke, wie sich Tönnies, Peters und Entourage beim Anblick eines außer Rand und Band spielenden Mesut Özil gegenseitig in die Hinterteile beißen, ja auch einen gewissen Charme. So gesehen konnte die endlose Gier nach Schadenfreude auch an diesem Wochenende zumindest ein wenig gestillt werden. Aber im Grunde geht doch nichts über die Bundesliga, und glücklicherweise nimmt sie kommendes Wochenende wieder ihren Betrieb auf. Viele Fragen warten auf Aufklärung. Wird Köln das nächste Freiburg? Setzt Bayer seinen Siegeszug fort oder kann VW zurückschlagen? Und wer zum Henker kann von unseren Jungs am Samstag Robben und Ribery in Schach halten?
Damit wäre ich auch schon beim zweiten Punkt, der einem als BVB-Fan momentan den Wind aus den Segeln nimmt: die unendliche Geschichte des Sebastian Kehl. Er ist Leitwolf und spiritus rector einer Mannschaft, die ihren dauerverletzten Kapitän schmerzlich vermisst. Doch mehr und mehr nähren sich langsam die Zweifel, dass Kehl überhaupt je wieder die Rolle einnehmen kann, in der ihn jeder am liebsten sieht. Auch gegen die Bayern wird es nicht zu einem Comeback reichen, mittlerweile gilt insgeheim sogar die gesamte Hinrunde als fraglich. Man wagt es ja kaum auszusprechen, aber irgendwie erinnert doch vieles an die Leidensgeschichte von Matthias Sammer. Der hat seinerzeit einen vergleichbaren Stellenwert im Team gehabt wie nun Kehl, der Ausgang seiner Karriere dürfte allen noch gut in Erinnerung sein.
Auch wenn es nicht leicht ist, sich damit anzufreunden: es ist dringend nötig, sich nach einer Alternative umzusehen, die dieser Bezeichnung auch gerecht wird. Ehrgeizige Forderung angesichts eines geschlossenen Transferfensters, natürlich ist eine eventuelle Neuverpflichtung frühestens in der Winterpause möglich. Aus dem aktuellen Kader scheint augenblicklich Mats Hummels der erste Kandidat für die verwaiste Position zu sein, womit der Bogen von Nationalmannschaft über Sammer und Kehl hin zum Spiel gegen die Bayern endgültig vollzogen wäre. Sammer nämlich sieht in Hummels den nächsten Nationalspieler, dies allerdings wohl eher auf der Position des Innenverteidigers.
Dort sieht sich auch Hummels selbst, nur sind in Dortmund sowohl Santana als auch Subotic momentan vor ihm. Dem 20-Jährigen werden allerdings auch große Fähigkeiten auf der Sechser-Position zugesprochen, nicht zuletzt im U21-EM-Finale stellte er sein Potenzial zur Schau. Nicht wenige sehen in ihm bereits jetzt den legitimen Nachfolger von Kehl, sowohl sportlich als auch aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur.
Hummels gilt als intelligent, diszipliniert und fleißig, seine fußballerischen Fähigkeiten sind mittlerweile ohnehin fast über jeden Zweifel erhaben. Es deutet vieles darauf hin, dass er in den nächsten Wochen Kehl ersetzen muss, und darauf sollte er sich auch ohne Murren einlassen. Von Seiten des Vereins muss ihm dafür ganz klar kommuniziert werden, welche Rolle für Hummels vorgesehen und mit welcher Verantwortung diese verbunden ist.
Davon abgesehen dürfte es seinen Nationalmannschaftsambitionen am erträglichsten sein, überhaupt zu spielen. Generell wäre es paradox zu glauben, er hätte in der Innenverteidigung so viel größere Chancen auf einen Stammplatz, haben sich doch gerade auf dieser Position mit Boateng und Höwedes kürzlich zwei Akteure mit Nachdruck angeboten. Mit einem Rolfes oder Hitzlsperger im defensiven Mittelfeld kann es Hummels hingegen ebenfalls allemal aufnehmen. Die kommenden Wochen werden seine Bewährungsprobe, und was könnte es schöneres geben, als gegen Bayerns neue Traum-Offensive zu starten? Mach et, Mats!