Denn Sven Lintjens hat keine Mannschaft mehr. Während andere Profis ohne Verein verzweifelt die Hände vors Gesicht schlagen, hat der Mittelfeldmann diesen Zustand selbst gewählt. Als er sich im vergangenen Winter dem damaligen Zweitligisten Paderborn anschloss, unterschrieb er einen Vertrag bis 2009. Im Sommer löste er ihn wieder auf. „Ich wollte dem SCP beim Neuanfang nicht im Weg stehen, das hatten der Club und sein Präsident Wilfried Finke nicht verdient. Die sollten das Geld, das sie an mir sparten, lieber in einen gesunden Spieler investieren“, erklärt Lintjens.
Lintjens wird aufgrund seiner häufigen Vereinswechsel gerne als „schwieriger Charakter“ betitelt. Tatsächlich ist er einfach einer der wenigen Spieler, die sich als mündige Akteure verstehen und ihre Meinung intern kundtun. Ein Umstand, der ihn bei manchem Vereinsfunktionär unbeliebt gemacht hat.
Denn als er die Ostwestfalen nach nicht einmal einem halben Jahr wieder verließ, war der 69-malige Zweitligakicker ein Fall für die Medizinmänner. Nachdem er im Match gegen Kaiserslautern im Rasen hängen geblieben war, wurde Lintjens sechs Wochen lang behandelt – die Oberschenkelfissur hatte dennoch kein Arzt erkannt. Und so kam es, wie es kommen musste: Das schnelle Comeback gegen Mainz – zuvor hatte Lintjens lediglich das Abschlusstraining absolviert – geriet zum Fiasko.
1:6-Pleite, Oberschenkelbruch und Knorpelprobleme – die Saison war beendet, die Zeit in Paderborn auch. „Ich mache niemandem einen Vorwurf, das sind alles nur Menschen“, sagt der Mönchengladbacher. Die Schuldfrage hat er beiseite geschoben wie die Schmerzen, die ihn in den ersten Wochen bereits beim Gehen plagten.
„Bis zum Winter möchte ich einen Verein gefunden haben“, sagt Lintjens. Wenn er gewollt hätte, stünde er schon längst wieder in Lohn und Brot. Angebote aus der holländischen Eredivisie, der belgischen Jupiler League, aus der zweiten und dritten Liga – der Routinier hat die freie Wahl. Und er nutzt sie, wenn auch in anderer Hinsicht: „Ich bin mein eigener Mensch und möchte selbst bestimmen, wann ich wieder fit bin. Erst danach werde ich etwas unterschreiben.“
Lintjens hat den ungewöhnlichen Weg gewählt, weil er sich selbst kennt: „Wenn der Trainer dich fragt, wie es geht, sagst du immer, dass du spielen kannst.“ Doch Lintjens ist nicht mehr in dem Alter für voreilige Comebacks. „Ich liebe den Sport“, sagt er und will ihn noch einige Jahre betreiben.
Deshalb schuftet er täglich im Reha-Zentrum von Bernd Restle in Düsseldorf, nur 20 Minuten von seinem Zuhause entfernt. „Die Reha ist ganz schön hart, viel härter als normales Training“, bemerkt Lintjens. In der Tat: Um 9.15 Uhr startet sein Tag im Kraftraum, danach geht es auf dem Platz weiter und am Ende steht eine Behandlung auf dem Programm. „Wenn man gesund ist, macht man sich keine Gedanken darüber“, bemerkt der Routinier, der zuvor weitgehend von Verletzungen verschont geblieben war.
Gemeinsam mit seinen Leidensgenossen wie Tobias Willi, Marcel Heller und Bekim Kastrati arbeitet Lintjens am Comeback. Die Vorbereitung auf die Rückrunde will er komplett durchziehen können. "Vielleicht reicht es sogar noch zu ein paar Einsätzen in diesem Jahr", hofft der Techniker. Überstürzen will er aber nichts, ein konkretes Datum für die Rückkehr nimmt er sich deswegen gar nicht erst vor. "Es war schließlich schon ein Erfolg, mit der Reha anfangen zu können", bemerkt er.
Seit drei Monaten schindet er sich nun fürs Comeback, bis 36 möchte er möglichst noch spielen: „Das kann man natürlich nie vorhersagen. Aber an Bjarne Goldbaek habe ich gesehen, dass es geht. Der wurde im Alter immer fitter.“ Danach ist Schluss für ihn – nicht nur auf dem Platz. Den Trainer, Manager oder Berater Lintjens wird es nicht geben, so viel steht jetzt schon fest. Denn besonders angenehm findet er das Umfeld nicht, in dem er sich berufsbedingt bewegen muss. „Die Leute lächeln sich an und reden hinterher schlecht übereinander. Und wie die sich alle vorkommen – das sind doch keine Ärzte, die Leben retten. Dieses ganze Getue ist nicht meine Welt“, erklärt der Familienvater.
Schließlich gibt es für ihn ein Leben neben dem Fußball – nicht nur, weil seine zehnjährige Tochter Alessa unter dem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) leidet und daher besonderer Zuwendung bedarf. „Die schlimmste Zeit haben wir hinter uns, sie blüht richtig auf“, berichtet Lintjens. Das gilt auch für ihn, wenn er über die Dinge abseits des Sports erzählt.
Zum Schluss sagt er leise: „Ich kann Sebastian Deisler verstehen, dass er so früh aufgehört hat. Wahrscheinlich ist man glücklich, wenn man das alles hinter sich gelassen hat.“ Und, so paradox es klingt: Lintjens freut sich dennoch auf die kommenden Geburtstage, die er wieder im Mannschaftskreis feiern darf.