Große Vereinsnamen, ganz viel Tradition und in nahezu jeder Spieltags-Partie ein Gefühl von Bundesliga: Andreas Rettig sieht dem Start der 2. Fußball-Bundesliga gespannt zu. „Für mich ist die 2. Bundesliga noch unberechenbarer als Friedrich Merz derzeit“, sagte der langjährige Manager der WAZ (Freitagausgabe). „Für mich sind die Unberechenbarkeit und die Leistungsdichte die großen Unterschiede von der Ersten zur Zweiten Liga. Die Bundesliga leidet unter dem fehlenden Spannungsmoment“, so der 60-Jährige. Die Saison wird an diesem Freitag (20.30 Uhr/Sat 1) mit dem Topspiel zwischen dem Hamburger SV und Erstliga-Absteiger FC Schalke 04 eröffnet.
Dass in der dieser Saison mehr Bundesliga-Gründungsmitglieder in der 2. Bundesliga spielen als eine Klasse darüber, verdeutliche Andreas Rettig: „Diese Zweite Liga wird zurecht gehypt. (…) Schaue ich mir den ersten Spieltag an: Nur die Anstoßzeit von 13 Uhr am Samstag erinnert mich an die Zweite Liga.“ Die Attraktivität der 2. Bundesliga mache aber auch die Herausforderungen für die Aufstiegskandidaten schwieriger: „Dass jeder jeden schlagen kann, trifft in der Bundesliga kaum noch zu.“
Mit einem Augenzwinkern sagte Rettig daher in Richtung Hans-Joachim Watzke: „Ich hoffe sehr, dass die Zweite Liga aufgrund ihrer gestiegenen Popularität nicht die Bundesliga durch Solidaritätsaktionen unterstützen muss.“ BVB-Geschäftsführer Watzke hatte als Aufsichtsrats-Vorsitzender der Deutschen Fußball-Liga (DFL) nach den gescheiterten Investoren-Plänen für die Profiligen, gegen die sich vor allem Zweitligisten gewehrt hatten, gesagt, man müsse ihm „nicht mehr mit Solidaritätsthemen kommen“.
Eine selbstständige Vermarktung der Zweiten Liga, wie schon mal angedacht, empfindet Rettig „nicht als kluge Entscheidung. Im Gegenteil: Die 2. Bundesliga hat vielleicht jetzt die Möglichkeit, durch ihre gestiegene Attraktivität einen höheren Solidarbeitrag in der Gesamtvermarktung einzubringen.“
Für den früheren DFL-Geschäftsführer ist Schalke 04 der Topfavorit, weil die Königsblauen „zuletzt alles gut gemanagt“ haben. „Dass der Trainer selbst nach dem Abstieg an einem so emotionalen Standort nicht schon verbrannt ist, spricht Bände. Für Thomas Reis, aber auch für die Besonnenheit und Ruhe. Das war ja schon mal anders auf Schalke“, so Thomas Reis. Mitabsteiger Hertha BSC traut er nicht die sofortige Rückkehr zu. Dagegen „liest sich normaler, den HSV in der Bundesliga statt in der Zweiten Liga zu haben“. Für Überraschungen im Aufstiegsrennen könnten Fortuna Düsseldorf, Hannover 96 und der FC St. Pauli sorgen.
Was Andreas Rettig allerdings aktuell gar nicht zusagt, ist „diese vermeintliche Verzwergung der Bundesliga im Vergleich zur 2. Bundesliga, also das gegenseitige Ausspielen“. Erstligisten wie die Aufsteiger Darmstadt 98 und 1. FC Heidenheim auf der einen Seite, Traditionsklubs mit großen Fanaufkommen auf der anderen Seite eine Liga darunter.
Rettig: „Für mich ist im Profifußball immer noch die sportliche Leistungsfähigkeit die härteste und wichtigste Währung und nicht das Erheben von Vermarktungspotenzialen, mir geht es nicht um den Wettstreit der Follower und Social-Media-Potenziale der Klubs. Man hat ja in der vergangenen Saison gesehen, was das dem HSV gegen Heidenheim beim Anpfiff genutzt hat.“
Wir müssen dem Profifußball eine neue DNA verpassen
Andreas Rettig
Es sei daher „despektierlich gegenüber den Heidenheims und Darmstadts dieser Welt. Da wird kontinuierlich, kompetent und mit deutlich weniger Mittelaufwand gearbeitet als bei den Mitbewerbern. Und sie kriegen dann am Ende zu hören, dass sie eigentlich Zwerge sind und nichts zum Vermarktungserfolg der Bundesliga beitragen. Sie sind aufgestiegen, sie haben sich das verdient.“
Beim Kampf um junge Fans sieht Andreas Rettig den deutschen Fußball vor einer großen Aufgabe, die ein Umdenken erfordert: „Ich wurde vor Jahren ausgelacht, als ich gesagt habe: Wir müssen dem Profifußball eine neue DNA verpassen, die gesellschaftliche Verantwortung muss einen viel größeren Stellenwert bekommen. Nicht, um einfach nur Gutes zu tun, sondern auch aus Gründen der Selbsterhaltung. Oder glauben Sie, dass die Generation Z freitags mit Friday for Future auf die Straße geht, um dann samstags im Stadion die Goldsteaks auf dem Rasen zu bejubeln? Wenn wir also den (wirtschaftlichen) Unsinn richtigerweise mal nicht mehr mitmachen, um die Haalands halten zu können, müssen wir die Zielgruppen anders emotionalisieren und binden. Womöglich sagt dann die Generation Z: Es mag nicht der beste Fußball sein, der da gespielt wird – aber ich kann mich mit den Themen rund um diesen Fußball identifizieren. Diesen Ansatz müssen wir viel mehr in den Vordergrund rücken als ein Wetteifern um Stars, die heute hier und morgen dort sind.“