Kevin Kuranyi ist in Gelsenkirchen allgegenwärtig. In der Fußgängerzone prangt sein überdimensionales Konterfei an einem Kaufhaus, im Fernsehen wirbt er für Fußballschuhe und Brotaufstrich. Und nach einigen Anlaufschwierigkeiten ist der Teenieschwarm auch sportlich bei Schalke 04 angekommen. Mit drei Toren in drei Spielen hat der 23-Jährige zuletzt seine Kritiker, die erstmals vorsichtig nach dem sportlichen Wert des Fußball-Popstars fragten, zum Schweigen gebracht.
Für das Ende der ersten Krise bei seinem neuen Arbeitgeber hat Kuranyi, am Mittwochabend mit Schalke in der Champions League gegen PSV Eindhoven aktiv, eine ganz persönliche Erklärung. "Vielleicht kam es nicht von ungefähr, dass ich schlechter gespielt habe, als ich von meiner Familie getrennt war", sagt der Nationalspieler, der zunächst im Hotel und dann bei seiner Mutter in Düsseldorf wohnte: "Ich war mental down."
Jetzt sind Lebensgefährtin Vicky und Söhnchen Karlo mit ihm zusammen nach Mülheim an der Ruhr gezogen - mitten in den Ruhrpott: "Jetzt sind wir hier alle zusammen und glücklich. Ich fühle mich wohl, meine Familie ist bei mir. Alles ist gut, deswegen schieße ich auch wieder meine Tore." Dass er nun nachts aufstehen muss, weil der sieben Wochen alte Filius schreit, stört ihn überhaupt nicht: "Die Nähe zu meinem Baby ist für mich sehr wichtig."
Für den Mann mit drei Pässen, in Rio de Janeiro geboren, die Mutter aus Panama, der Vater aus Deutschland und der Großvater aus Ungarn, ist die Familie wie Doping.
Auch als es für Kuranyi auf Schalke nicht so gut lief, gab es für den Sieben-Millionen-Euro-Einkauf kaum Pfiffe. Zum einen, weil er sich bei den Fans mit seinen beiden Toren zum 2:1-Sieg beim Erzrivalen Borussia Dortmund schon kurz nach seinem Wechsel vom VfB Stuttgart zum Vizemeister unsterblich gemacht hat. Und zum anderen, weil er mit seinem nimmermüden kämpferischen Einsatz gut ankommt. Selbst in der eigenen Hälfte grätscht Kuranyi, um den Ball zu erobern. Das lieben sie auf Schalke.
"In Gelsenkirchen gibt es viele Leute, die arbeitslos sind, die für ihren Job kämpfen. Da muss man als Fußballprofi eine gute Einstellung vorleben, damit sich die Menschen mit einem identifizieren können", sagt Kuranyi: "Fußball ist mein Leben, ich habe schon als Kind alles dafür gegeben. Vielleicht merkt man mir das auch heute noch an." Seine Sprints zurück in die eigene Hälfte mit anschließender Balleroberung kommen nicht von ungefähr. "Ich war früher Abwehrspieler, das merkt man dann wahrscheinlich noch."
Doch genau dieser Einsatz stößt nicht überall auf Begeisterung. Abwehrchef Marcelo Bordon etwa riet ihm, egoistischer zu sein, "er arbeitet als Stürmer viel zu viel". Kuranyi hat sich die Kritik zu Herzen genommen und sieht sich "auf einem guten Weg". Allerdings betont er, dass er nur bis zu einem gewissen Grad Egoist sein kann: "Es ist meine Spielart, wenn ein Mitspieler besser steht, gebe ich in den meisten Situationen den Ball ab. Es geht nicht um den persönlichen Erfolg." Sein Vorgänger im Schalker Angriff, die Fußball-Diva Ailton, hatte da ganz andere Ansichten.
Die Rückkehr zu alter Stärke im Verein soll Kuranyi auch helfen, bei der Nationalmannschaft verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Zunächst unter Jürgen Klinsmann als Stürmer Nummer eins gesetzt, fand er sich zuletzt hinter Miroslav Klose und Lukas Podolski nur noch als Ersatzspieler auf der Bank wieder. "Vielleicht bin ich schon bald wieder Nummer eins oder zwei", sagt Kuranyi, "wichtig ist, dass ich mit Schalke gut spiele. Ich versuche, nicht so viel auf das zu hören, was von außen kommt." Was die Familie sagt (oder schreit), ist ohnehin wichtiger.