Ganz Gelsenkirchen feiert am 4. Mai Geburtstag. Bundesligist FC Schalke 04 freut sich auf das 100-jährige Vereinsjubiläum am kommenden Dienstag. Diesen Termin vor Augen, steht die ganze Stadt Kopf.
Mit unendlich viel Stolz und einer Portion Ehrfurcht blicken etliche der 275.000 Einwohner ins Berger Feld. Da steht sie, die neue Arena, das modernste Stadion Europas, 180 Millionen Euro teuer, Symbol des Wandels, das ausdrückt "Seht her, wir haben es geschafft!" und durch Manager Rudi Assauer personifiziert wird.
Vom Arbeiterverein zum Nobelklub
100 Jahre nach seiner Gründung als Westfalia Schalke klopft der einstige Arbeiterverein an die Tür zur Liga der Nobelklubs. Viele Gelsenkirchener genießen den neuen Stellenwert, weil es Identität bietet, die im Herzen des Ruhrgebiets bei einer regionalen Rekord-Arbeitslosenquote von weit über 17 Prozent nicht immer einfach auszumachen ist. Doch vor allem aus Reihen der älteren Generation mischt sich Skepsis in die Betrachtung. "Die machen jetzt auf dicke Hose", heißt es dann. Und das mögen die Menschen entlang des Rhein-Herne-Kanals nicht.
Doch trotz allem Kleckern und Klotzen droht keine Entfremdung zwischen Klub und Einwohnern. Zu sehr bestimmt Schalke 04 das alltägliche Leben in Gelsenkirchen. Kaum eine Kneipe kommt ohne visuelles Bekenntnis zu den "Knappen" aus. Schalke liefert Gesprächsstoff am Tresen, beim Frisör, am Arbeitsplatz, nach der Kirche und in der Familie. Und das seit Jahrzehnten. Die Tradition ist greifbar. Sie wird weitergegeben von Generation zu Generation.
"Schalker Kreisel" immer noch in den Köpfe der Fans
Die Begründer des Mythos´ werden heute wie Helden verehrt. Jedes Kind in Gelsenkirchen kennt die Namen Ernst Kuzorra und Fritz Szepan, die einst den "Schalker Kreisel" entwickelten. Ein Kurz- und Flachpass-Spiel, das in Schottland seinen Ursprung fand. Die verschwagerten Fußballer spielten ihre Gegner in der 1928 erbauten "Kampfbahn Glückauf" schwindelig und gewannen zwischen 1934 und 1942 sechsmal die deutsche Meisterschaft und einmal den Pokal. 1937 feierte Schalke als erster Klub das Double.
Schalke bis in die 90er Skandal-Klub
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Verein längst den Ruf der Skandalnudel erworben, den er bis in die 90er Jahre hinein mehr oder minder gewollt pflegte. Im August 1930 wurden 16 Spieler und 6 Funktionäre wegen verbotener Handgeldzahlung in Höhe von zehn Mark vom westdeutschen Fußballverband gesperrt. Schatzmeister Willi Nier beging daraufhin Selbstmord. Im Januar 1931 hob der Verband das Urteil auf.
Es blieb beileibe nicht das dunkelste Kapitel der Vereinshistorie. Das folgte erst 40 Jahre später und ging als "Bundesliga-Skandal" in die deutsche Fußball-Geschichte ein. Am 17. April 1971 unterlag Schalke gegen Arminia Bielefeld 0:1. Das Spiel war verschoben. 2300 Mark kassierten die Blau-Weißen pro Spieler, doch leugneten sie später vor Gericht. Etliche Spieler wurden im Dezember 1975 wegen Meineids zu Geldstrafen verurteilt.
Die Nachwehen des Skandals machten dem Verein rund zwei Jahrzehnte zu schaffen. Schalke stieg 1981 erstmals aus der Bundesliga ab. Zwei weitere Abstiege folgten. Der Klub stand mehrfach in dieser Zeit vor dem finanziellen Ruin. Als dann Günter Eichberg als Präsident 1989 glorreiche Zeiten versprach, folgten die Anhänger dem "Sonnenkönig" blindlings - fast bis in den Untergang. 20 Millionen Mark Schulden hatte der Klub 1993 angehäuft, die Lizenzerteilung stand auf des Messers Schneide. Dennoch ebnete Eichberg mit der Wiedereinstellung des einst entlassenen Managers Rudi Assauer den Schalker Weg zum Erfolg, ehe er im Oktober 1993 seinen Stuhl räumte.
Assauer-Ära brachte die Wende
Man mag von Assauer halten, was man will. Doch Fakt ist, dass der inzwischen 60-Jährige aus dem vom wirtschaftlich Aus bedrohten Fußballverein ein hochmodern strukturiertes Unternehmen mit Perspektive gezaubert hat. Der Gewinn des Uefa-Pokals 1997 und der zweimalige Triumph im DFB-Pokal 2001 und 2002 sind vor allem auch ein Verdienst des Managers.
Das honorieren die Fans, die aber keineswegs unkritisch mit dem eitlen Zigarren-Raucher umgehen. Dass der zurzeit mit Geld um sich wirft wie ein neureicher Unternehmensberater, bereitet dem einen oder anderen Fan große Sorgen. Sicher freuen sie sich auf Ailton, aber dessen Söldner-Mentalität widerstrebt dem Schalker Ur-Geist, der in vielen Gelsenkirchener Köpfen durchaus noch existiert.
Kirchenglocken läuten um 19.04 Uhr zum Jubiläum
In der kommenden Woche jedenfalls jagt in der Stadt eine Geburtstagsveranstaltung die andere. Am Montag enthüllen Feuerwehrleute riesige Transparente am Rathausturm, die an große Schalker Erfolge erinnern. Der Verein selbst lädt am 8. Mai in die Arena, wo pompös das Jubiläum begangen wird. Der symbolische Höhepunkt aber findet am Dienstag statt. Um 19.04 Uhr werden alle Kirchenglocken der Stadt für 30 Minuten in Gedenken an 100 Jahre Schalke 04 läuten. Undenkbar in den meisten anderen Städten des Landes. Doch in Gelsenkirchen ist es eigentlich nur wie immer. Alles dreht sich um Blau-Weiß.