Wenn die Spieler von Werder Bremen in den letzten Spielen so kämpferisch aufgetreten wären wie Sportchef Frank Baumann in den ersten Tagen nach dem Abstieg, hätten die Grün-Weißen den Sturz in die Zweitklassigkeit vielleicht doch noch abwenden können. Aller Kritik an seiner Person und der Fanproteste nach dem 2:4 gegen Gladbach zum Trotz ist Baumann fest gewillt, den Neuaufbau an der Weser federführend zu gestalten. „Weil ich davon überzeugt bin, dass ich in der jetzigen Situation der richtige Mann für Werder Bremen bin“, sagte Baumann in der TV-Sendung „Doppelpass“ bei Sport1.
Bereits am Montag entschied offenbar auch der Aufsichtsrat, dass der 45 Jahre alte Ex-Nationalspieler im Amt bleiben darf. Das berichtete die „Bild“-Zeitung unter Berufung auf Mitglieder des Gremiums. Dass Baumann dort trotz des ersten Bremer Abstiegs seit 41 Jahren immer noch die nötige Rückendeckung genießt, betonte der ebenfalls in der Kritik stehende Aufsichtsrats-Chef Marco Bode bereits frühzeitig.
Auch Baumanns Geschäftsführer-Kollegen sollen offenbar erst einmal weitermachen. „Es ist der klare Wunsch des Aufsichtsrates, dass wir die Aufgaben in den kommenden Wochen in der aktuellen Konstellation angehen“, sagte der für die Finanzen zuständige Klaus Filbry am Sonntagabend in der Sendung „Sportclub“ im NDR-Fernsehen. „Wir müssen jetzt handlungsfähig sein und gleichzeitig die Ursachen sehr genau analysieren und dann die richtigen Schlüsse ziehen“, sagte Filbry.
Dabei steht Werders Ehrenspielführer Baumann nicht erst seit dem feststehenden Abstieg im Umfeld des Clubs mit den immer noch meisten Erstliga-Spielen (1934) in der Kritik. Dem Ex-Profi werden teure Fehleinkäufe wie Davie Selke oder auch Leonardo Bittencourt, insgesamt fehlende Ideen auf dem Transfermarkt und ein zu langes Festhalten an Trainer Florian Kohfeldt angelastet.
Trotzdem scheinen Stimmen wie die von Jürgen Born erst einmal wieder kein Gehör zu finden. Der frühere Vorstandsvorsitzende hatte via spox.com gefordert, es müsse „mehr Neutralität in den Verein gebracht werden“. Trotz aller Fehlentwicklungen im finanziellen und sportlichen Bereich fehlt auch eine wirkliche Opposition. „Weiter so“, lautet daher an der Weser wieder einmal das Motto.
Und so wird erst einmal Baumann den Neuaufbau einleiten. Die Zeit drängt, schon Ende Juli beginnt die neue Saison im Fußball-Unterhaus, das 2021/22 mit vielen namhaften Clubs wie dem Hamburger SV, FC Schalke 04, Fortuna Düsseldorf, 1. FC Nürnberg oder Hannover 96 gespickt sein wird. „Wir haben keine Zeit zu verlieren. Es müssen jetzt schnell, aber auch sorgfältig Entscheidungen getroffen werden“, sagte der Geschäftsführer Profifußball.
Das Ziel für die neue Spielzeit ist klar. Es soll direkt zurück in die Erste Liga gehen. „Es muss auf jeden Fall das Ziel sein, dass wir die Rahmenbedingungen schaffen, dass wir direkt wieder aufsteigen können“, sagte Baumann. Doch eben das dürfte nicht einfach werden. Ein Abstieg kommt für einen Verein nie zu einem günstigen Zeitpunkt, doch Werder trifft er im schlechtestmöglichen Moment. Noch mitten in der Corona-Pandemie, die sämtliche Finanzreserven hat wegschmelzen lassen und den Club finanziell um das Überleben kämpfen lässt.
Bis Ende Juni müssen Transfererlöse her, sonst droht der Abzug von sechs Punkten, weil die Lizenz nur unter Bedingungen erteilt wurde. Das Ziel Wiederaufstieg wäre dann bereits vor dem Saisonstart eine Illusion. Das Problem: Wer aus dieser Mannschaft, die aus den letzten zehn Spielen nur einen Punkt holte und die selbst am Samstag noch nicht den Eindruck machte, als habe sie den Ernst der Lage erkannt, soll wirklich großes Geld bringen? Spieler wie Milot Rashica oder Maximilian Eggestein, einst hoffnungsvolle Kandidaten für einen lukrativen Verkauf, haben in den vergangenen beiden Jahren mehr an Wert eingebüßt als der taumelnde Deutsche Fußball-Bund an Sympathien.
Die wichtigste Personalie ist aber erst einmal die des Trainers. Bis „Ende Mai, spätestens in den ersten Juni-Tagen“ will Baumann einen Nachfolger für Werder-Legende Thomas Schaaf präsentieren, der als Interimscoach in einer Woche auch nichts mehr retten konnte. Danach geht es an die Planung des Kaders, in dem alle Spieler mit Ausnahme des zu Hertha BSC zurückkehrenden Selke, Niklas Moisander und Theodor Gebre Selassie auch Verträge zu stark reduzierten Bezügen für die Zweite Liga haben.
„Wir haben das Heft des Handelns in der Hand, alle Spielerverträge reduzieren sich um 40 bis 60 Prozent. Insofern ist gerade hier als Kostenblock eine hohe Erleichterung auf der finanziellen Seite“, sagte Filbry. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir einen schlagkräftigen Kader für die Zweite Liga zusammenstellen, mit dem wir dann auch oben mitspielen können.“
Ein großes „Tschüss“ stand auf der Anzeigentafel, als die Mannschaft aus Angst vor den eigenen Fans am Samstag durch einen Hinterausgang das Stadion verließ. Wie ein „Auf Wiedersehen“ in der Ersten Liga aussehen soll, konnte sich da noch niemand so recht vorstellen. dpa