Wenn Normalität ein Ort wäre, dann ist es von dort, wo Thomas Tuchel gerade sitzt, ein sehr weiter Weg. Der Trainer von Borussia Dortmund trägt nicht wie sonst das Gelb seines Arbeitgebers, sondern einen grünen Pullover. Graugrün. Wie die Hoffnung auf Besserung, an der man sich versucht, die aber noch nicht ausreichend Kraft hat. Tuchel ist gekommen, um über etwas zu reden, das eigentlich unwichtiger nicht sein könnte. Fußball, Bundesliga, Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt am Samstag (15.30 Uhr / Sky). Aber es muss ja weitergehen.
Glück, dass nicht mehr geschah
Zwei Tage sind am Donnerstag vergangen, seit auf den Mannschaftsbus des BVB ein Sprengstoffanschlag verübt und der Spieler Marc Bartra verletzt wurde. Pures Glück, dass nicht mehr geschah.
Tuchel sieht müde aus. Die Details des Anschlags oder die Möglichkeit, mit sich und seinen Gedanken allein zu sein, haben ihm offenbar zugesetzt. In den Stunden nach dem Anschlag und vor dem dann neu angesetzten Champions-League-Spiel gegen die AS Monaco (2:3), so sagt er, funktionierte er einfach. Zeit zum Denken blieb kaum. Die Welt nahm er wie durch Watte wahr: dumpf, weit weg.
Am Tag nach all dem sagt er: „Für mich ist heute der schlimmste Tag.“ Und die Frage ist: Wie soll er, wie soll der BVB zurück in den Alltag finden? Wenn die Beklemmung sich sogar noch steigern kann? Tuchel kennt die Antwort nicht.
Viel, zu viel, sei ihnen zugemutet worden in den letzten Tagen. Ausgeliefert fühlten sie sich. Dem Terror. Und dem Wunsch, dass alles nun sofort weiterzugehen hätte. Attentat am Dienstag, Fußball am Mittwoch. Das gesellschaftspolitische Zeichen, sich der Gewalt nicht zu beugen, hatten Trainer und Spieler als Zumutung empfunden. Sokratis, der Verteidiger, der stets tut, was getan werden muss, hatte nach dem Abpfiff Tränen in den Augen. Er sagte: „Wir sind keine Tiere, sondern Menschen.“
Aber so hatte sich das offenbar für ihn und seine Mannschaftskameraden angefühlt: Wie vom Europäischen Fußball-Verband Uefa an der Kette in die Manege des millionenschweren Zirkus geführt zu werden, um dort die üblichen Kunststückchen zu vollbringen.
In die Entscheidung, schon einen Tag später wieder zu spielen, seien sie nicht eingebunden gewesen. „Wir wären alle gerne gefragt worden, weil es uns betroffen hat und nicht die Leute, die es im Büro entschieden haben“, sagt Kapitän Marcel Schmelzer. Die Uefa hielt in einer Mitteilung fest, dass die Entscheidung in Absprache mit beiden Vereinen getroffen worden sei. Tuchel, der Mann, der am liebsten alles kontrolliert, und seine Profis fühlten sich ohnmächtig.
Der BVB wird jedem, der sie braucht, psychologische Betreuung zukommen lassen. Es gilt Bilder aus der Erinnerung zu löschen, die niemand sehen will: die Explosion, fliegende Teile, die Gesichter der Kollegen und Freunde. „Manchmal ist es weit entfernt. In anderen Momenten ist man sehr emotional und sieht alles wieder sehr realistisch vor sich. Dieser Zustand wird uns in den kommenden Tagen und Wochen weiter begleiten“, sagt Tuchel. Es fällt ihm schwer darüber zu reden. Aber es muss ja weitergehen.
Frankfurt also. Training. Mannschaftsbesprechung. Und immer die Frage, was daran wichtig sein soll. „Ich habe an die Mannschaft appelliert, nicht jedes Training und jedes Spiel in einen größeren Sinnzusammenhang zu stellen.“ Das sei zwar nachvollziehbar, aber helfe nicht. „Jeder muss einen Weg finden, um Normalität und Spaß wiederzufinden und Spiele mit maximalem Ehrgeiz zu spielen.“ Er hat Hoffnung, dass das Samstag schon klappt. Er sagt jedoch auch: „Du bist der beste Sportler, der du sein kannst, wenn du dir keine Sorgen machst. Aber das werden wir so schnell nicht hinbekommen.“