Startseite » Fußball » 1. Bundesliga

Ulli Potofski über Kommerz
„Ich würde den Prozess entschleunigen"

(1) Kommentar
Interview: Potofski über die Kommerzialisierung
VfB Stuttgart
VfB Stuttgart Logo
17:30
Borussia Dortmund Logo
Borussia Dortmund
18+ | Erlaubt (Whitelist) | Suchtrisiko | Hilfe unter www.buwei.de | -w-

Mit der RTL-Sendung Anpfiff nahm die Kommerzialisierung des Fußballs 1988 Fahrt auf. Ulli Potofski war das Gesicht von Anpfiff und zugleich Sportchef von RTL.

Was denn?

Ich finde, dass wir bei Anpfiff noch sehr harmlos waren. Was danach mit Beckmann und Ran kam, war definitiv viel schlimmer. Aber wenn man ehrlich ist, war das alles rein kommerziell betrachtet eine Erfolgsgeschichte ohne Ende. Dass es durch die Kommerzialisierung des Sports auch zu Ausuferungen gekommen ist, kann aber niemand abstreiten.

Der Weg zum Sportchef 1984 wechselte Potofski zu RTL und wurde rasch Sportchef. Allerdings eher zufällig, wie er bemerkt: „Es war einfach kein anderer da, der es machen wollte. Der Sender war ganz neu und ich war der erste, der sich professionell um Sport gekümmert hat. Also kam Dr. Helmut Thoma irgendwann zu mir: ‚Dann bist du auch unser Sportchef.’“

Mögen Sie den Fußball, wie er heute ist?

Wenn man mit dem Fußball groß geworden ist, wird man ihn immer mögen. Es wäre komisch, wenn ich mich abwenden würde. Aber es gibt Facetten am Fußball und am Drumherum, die mir suspekt sind. Wenn die VIP-Plätze im Stadion erst zehn Minuten nach Beginn der zweiten Halbzeit wieder besetzt sind, mache ich mich gerne mal lustig über einen Teil dieser Leute. Das werden wir nicht mehr ändern können. Aber deswegen werde ich den Fußball nicht verleugnen.

Hegen Sie eigentlich Sympathien für die Ultras, die sich als Hüter des Fußballs verstehen?

Auch wenn ich mich damit schrecklich unbeliebt mache: Es gibt null Argumente, Feuerwerk mit ins Stadion zu nehmen. Woher kommt eigentlich die Diskussion, dass Bengalos zu einem Stadiongefühl gehören? Das ist doch Schwachsinn! Das ist ein Gegenpol, den einige Leute gegen den kommerziellen Fußball aufzubauen versuchen. Ich bin sehr dafür, dass man den Finger in die Wunde legt. Aber das ist der falsche Weg.

Vor 25 Jahren galten auch bei Anpfiff Bengalos noch als Garanten für südländische Stimmung.

Vielleicht haben die Leute die Bengalos anschließend auch nicht auf andere geworfen. Ich muss dazu sagen, dass ich durch ein Ereignis geprägt bin. Ich war 1985 im Heyselstadion in Brüssel und habe eine Massenpanik übertragen. Das ZDF ist mit Beginn des Spiels aus der Übertragung gegangen. Ich musste da aber sitzen bleiben und plötzlich lagen 39 Tote in der Kurve, Väter mit ihren Kindern. Seitdem ich das gesehen habe, diskutiere ich mit niemandem über irgendetwas, das erlaubt sein kann. Alles, was auch nur in die Richtung Gewalt und Aggression läuft, ist meiner Meinung nach absolut inakzeptabel. Wie beurteilen Sie die Darstellung des Fußballs im Fernsehen?

Es gefällt mir nicht, dass es Kollegen gibt, die bei einem Zweitligaspiel rumschreien, als ob sie gerade das WM-Finale kommentieren. Da stimmen die Relationen nicht mehr. Und wenn Sie mir sagen, dass ich diesen Prozess mit beschleunigt habe: Das würde ich sofort wieder entschleunigen, wenn ich könnte.

Wann ist in Sachen Kommerzialisierung das Ende der Fahnenstange erreicht?

Viel weiter kann es nicht gehen. Bis auf ein paar Ausnahmen haben die meisten Bundesligavereine finanzielle Probleme. Es ist hart am Rande gebaut, ob wir nun über Schalke 04 oder den 1. FC Köln reden. Deswegen glaube ich, dass die Kommerzialisierung irgendwann einfach abgeschlossen ist. Was soll denn da noch kommen? Wettbüros in den Stadien vielleicht, wie es in England der Fall ist. Aber Mehreinnahmen sind nicht mehr in einem erheblichen Maße zu erzielen. Das Wachstum ist endlich wie alles auf dieser Welt. Die interessante Frage ist eher, wann das Ganze kollabiert.

Das Leben als Rechteloser Nach seinem Amtsantritt 1984 musste Potofski mit RTL vier Jahre lang auf die Bundesligarechte warten: „Das war die schönste Zeit für mich, weil wir irre viel gemacht haben. Wir waren Mitglied der Eurovision und konnten daher ganz viele Rechte für ganz wenig Geld kaufen. Der Witz war nämlich, dass sich die Höhe der Kosten aus der Einwohnerzahl des Senderlandes ergab. Und wir kamen aus Luxemburg mit 300.000 Einwohnern. So habe ich das Finale der WM 1986 live aus dem Aztekenstadion übertragen – für 5.000 englische Pfund. Zudem habe ich drei oder vier Mal das englische Pokalendspiel, Ligaspiele aus Frankreich und Länderspiele übertragen. In den Anfangszeiten haben wir auch die Luxemburger Liga gezeigt. Das hat keine Sau interessiert, aber der Sender war froh, dass er Sendezeit füllen konnte. Das habe ich unheimlich gerne gemacht, auch, weil es noch eine natürlichere Form des Fußballs war. Wir haben es auf eine andere Art übertragen: viel billiger, viel einfacher, viel unaufgeregter und nicht so wichtigtuerisch.“

Seite 1 2 3
Deine Reaktion zum Thema
Dieses Thema im Forum diskutieren » (1 Kommentar)
1
2
3
4
5
1
2
3
4
5
1
2
3
4
5
Neueste Artikel