"Die Ausfälle sind zwar bitter, aber wir haben nach wie vor eine starke Mannschaft, die qualitativ auf einem Top-Niveau steht. Deshalb mache ich mir keine Sorgen. Unser großes Ziel ist zunächst das Halbfinale, danach wollen wir dann auch mehr", sagte der neue Kapitän Philipp Lahm am Montag fast trotzig, nachdem in Heiko Westermann den fünften für Südafrika fest eingeplanten Spieler das WM-Aus ereilt hatte.
Auf den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montagabend zur moralischen Unterstützung mussten die Asse des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) verzichten. Aufgrund des Rücktritts von Bundespräsident Horst Köhler sagte die Regierungschefin den Besuch im WM-Trainingslager in Südtirol ab. Geplant war stattdessen am Abend ein Telefongespräch von Merkel mit Löw und Lahm.
Der neue Kapitän, der in Südafrika für den etatmäßigen Spielführer Michael Ballack die schwarz-rot-goldene Binde trägt, bestärkte unterdessen Löw in dessen Planungen, trotz der vielen personellen Rückschläge keine Nachbesserungen vorzunehmen. "Nachnominierungen sind für uns kein Thema. Der Bundestrainer hat ja deshalb einen großen vorläufigen Kader benannt, weil man immer mit Verletzungen rechnen muss", argumentierte der 26-Jährige. Zuvor war spekuliert worden, dass der Dortmunder Mats Hummels oder der Schalker Benedikt Höwedes einen Tag vor dem Meldeschluss des endgültigen WM-Kaders von 23 Akteuren bei der FIFA am Dienstag (1. Juni) um 24.00 Uhr zur deutschen Mannschaft ins Trainingslager nach Südtirol beordert werden.
Jüngstes Opfer der Verletztenmisere: Heiko Westermann (Foto: firo).
Löw sieht aber ebenso wie Lahm derzeit keinen Handlungsbedarf, würde nur bei weiteren Hiobsbotschaften nach den Absagen von Simon Rolfes, Rene Adler, Christian Träsch, Ballack und eben Westermann nach dem 1. Juni noch einmal reagieren. Zunächst muss der Bundestrainer aber erst einmal noch einen Akteur aus seinem auf 24 Spieler geschrumpften Kader aussortieren, was nach seinen eigenen Angaben eine "sehr enge und brutale Entscheidung" wird, die er erst am Mittwoch öffentlich machen will.
Als erste Streichkandidaten gelten der Hoffenheimer Andreas Beck und Marcell Jansen. Bei der Beurteilung des Hamburgers sprechen auch die DFB-Mediziner ein gehöriges Wort mit. Löw will von den Experten wissen, ob der Defensivspieler nach seinem ausgeheilten Syndesmoseriss körperlich das lange WM-Turnier durchstehen kann. Unabhängig von dieser Personalentscheidung sieht Lahm für den dreimaligen Welt- und Europameister gute Chancen am Kap der guten Hoffnungen. "Wir können sehr weit kommen, auch wenn die Gruppe schwieriger ist als 2006. Wir müssen Mut und Leidenschaft zeigen und selbstbewusst auftreten", sagte Lahm und forderte das Team auf, sich nicht von dem großen Verletzungspech beeinflussen zu lassen. "Wichtig wird sein, dass wir Führungsspieler die Ausfälle kompensieren. Das gilt für mich und meine Kollegen aus dem Mannschaftsrat", berichtete Lahm und nahm damit Miroslav Klose, Per Mertesacker, Arne Friedrich und Bastian Schweinsteiger mit in die Pflicht.
Der jüngste deutsche WM-Kapitän aller Zeiten, der am Donnerstag gegen gegen Bosnien-Herzegowina in Frankfurt/Main (20.30 Uhr/live in der ARD) das deutsche Team erstmals als offizieller Chef aufs Feld führen wird, warnte davor, bei der WM-Generalprobe mit angezogener Handbremse zu spielen: "Wir brauchen das Spiel, um uns einzuspielen. Alle, die jetzt noch gesund sind, müssen Vollgas geben", sagte der Abwehrspieler und forderte auch für die letzten Trainingseinheiten vor dem Abflug am Sonntag nach Johannesburg volles Engagement: "Für uns geht es normal weiter, wir müssen unsere WM-Form finden und dürfen uns nur darauf konzentrieren."
So sieht es auch Manuel Neuer, der dem jungen DFB-Team mit einem Durchschnittsalter von unter 26 Jahren einiges zutraut. "Wir haben immer noch genug Spieler, die schon einige Turniere gespielt haben und trotz ihrer jungen Jahre schon lange dabei sind und über viel Erfahrung verfügen", sagte die neue Nummer eins nach dem 20. Tag der Vorbereitung, an dem Löw erstmals seinen kompletten verbliebenen Kader im Training versammeln konnte. Lahm sowie seine Münchner Teamkollegen Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller und Jörg Butt von Bayern München waren erstmals dabei, als der Bundestrainer vor und während der Einheit die Spieler auf die WM einschwor.