Jede Sportdisziplin, jeder Sportler, jeder Mensch, ja sogar jede Religion hat auf der Welt einen Ort, wo Dinge passieren, die niemand rational erklären kann. Jeder, der an solchen Orten schon einmal gewesen ist, kann unterstreichen, dass an solchen Plätzen etwas ganz Besonderes in der Luft liegt.
Niemandem, der sich für Sport interessiert, muss erklärt werden, welche Bedeutung Wimbledon für die Tennis-, oder die Stadien Camp Nou und Old Trafford für die Fußballliebhaber haben.
Seit sieben Jahren hat auch die Skisprungwelt ihr Mekka im Weltcup-Zirkus gefunden. Das Saison-Highlight findet in Polen statt. Genauer gesagt in der Hohen Tatra im knapp 27.000 Einwohner-Ort Zakopane. RS war vor Ort.
„Eigentlich interessiere ich mich nicht für diesen Sport. Doch ein polnischer Arbeitskollege hat mich mal im letzten Winter nach Zakopane mitgenommen. Seitdem verstehe ich die Besonderheit dieses Weltcup-Ortes. Zakopane ist ein Mythos. Jetzt ist der Januar-Termin dick in meinem Kalender angestrichen. Die Veranstaltung ist der pure Wahnsinn, dass muss man erlebt haben, um dieses Spektakel zu verstehen“, schwärmt Ralf aus Dortmund von dem polnischen Weltcup-Ort, der nur 110 Kilometer von Krakau entfernt liegt.
Die Atmosphäre auf der "Wielka Krokiew" Schanze ähnelt der Stimmung in den Fußball-Hexenkesseln von Südeuropa (RS-Foto: Wozniak).
Skisprung-Fans aus der ganzen Welt sowie aus allen Teilen Polens reisen Jahr für Jahr an einem Januar-Wochenende nach Zakopane. Dann verwandelt sich die „ulica Krupowki“ (Hauptstraße der Stadt, Anm. d. Red.) in eine große Partymeile. Hier liegt die Kneipen-Dichte wohl noch um einiges höher als in der Düsseldorfer Altstadt.
Schon in den späten Abendstunden am Donnerstag feiern die Fans der Skisprung-Szene zumeist beim polnischen Gerstensaft „Tyskie, Lech oder Zywiec“ und fiebern dem eigentlichen Ereignis – dem Weltcup-Springen – entgegen.
Das erste Springen beginnt am Freitag an dem „großen Sparren“ zwar erst um 16 Uhr, doch die Tribünen füllen sich allmählich schon um 11 Uhr. Gegen 14 Uhr ist dann kein Platz mehr frei. Offiziell beträgt das Fassungsvermögen 50.000 Plätze, wegen Bauarbeiten kommen zur Zeit aber nur 25.000 Zuschauer an der Schanze unter.
Für eine feierliche aber friedliche Atmospähäre sorgt das SEK der polnischen Polizei (RS-Foto: Wozniak).
Die „Flieger-Fans“ feiern – animiert von zwei Stadionsprechern – bei Eiseskälte von bis zu minus 15 Grad Celsius ihren Sport im „Gefrierschrank Zakopane“. Jeder Springer wird vom rot-weißen Fahnenmeer bejubelt. Die Fans halten sich bei polnischen Volkslieder und internationalen Partyhits wie „Samba de Janeiro“ oder dem an die Schanze „geschmuggelten“ hochprozentigen Wodka-Mischungen warm und in Stimmung, bis… der polnische Volksheld kommt!
Der polnische Superstar Adam Malysz hat gut lachen beim Heim-Springen in Zakopane (Foto: firo).
Adam Malysz heißt der Star der Veranstaltung, er ist der populärste Sportler im Lande. Wenn „Krol Adam“ (dt. „König Adam“) in der Luft schwebt und landet, dann ist „Rambazamba-Zeit“ in der „Hölle Wielka Krokiew“ angesagt. Die Stimmung liegt dann jenseits des Siedepunkts. Die Fans feiern den Sprung ihres Landsmannes wie der Rest der Welt den Neujahrbeginn. Der Sprung wird mit Leuchtraketen, Knallern und bengalischen Feuern frenetisch bejubelt.
Eine Feuerwerkskörper-Show gehört zum "Party-Springen" in Zakopane einfach dazu (RS-Foto: Wozniak).
Nur am Rande: Malysz‘ Sprung hat „nur“ zu Rang fünf gereicht. Man stelle sich vor, nicht der „Ösi“ Gregor Schlierenzauer hätte am Freitagabend den Sieg gefeiert, sondern „Adam-Riese“, dann wäre die in Polen bekannte und für viele Skisprung-Fans nicht rational erklärbare „Malysz-Mania-Atmosphäre“ ausgebrochen… Zakopane eben! Ein „Muss“, nicht nur für Skisprung-Liebhaber, sondern für jeden begeisterungsfähigen Sport-Fan.