Kennen Sie Tröten? Nein, nicht etwa Vuvuzelas. Diese ausgelutschten Ententröten, die in Zeiten, als der liebe Gott noch kein Pay-TV erfunden hatte, in jeder Zweitliga-Übertragung dem Reporter als akustische Anwesenheitsbescheinigung dienten. Die den Sound zu Sonntagsspielen lieferten, als dort noch keine Bundesliga gespielt wurde. An diesem Abend waren sie noch mit das Beste, das RWE zu diesem Spiel beizutragen hatte. Sie fügten sich ins Ambiente: In vielerlei Hinsicht ist ein Ausflug an den Badeweiher eine Reise in die Vergangenheit. Scheinbar unversehrt vom Zinnober, der um den Fußball andernorts veranstaltet wird. Das Ganze an einem Dienstag, 18 Uhr, Nieselregen. Erst um 18 Uhr! Der VfB schlug noch eine halbe Stunde beim Verband heraus. Schiedsrichter Nikolaus Athanassiadis legte daher gesteigerten Wert auf Pünktlichkeit: Es gibt kein Flutlicht am Badeweiher.
Nicht, dass man in Essen nicht wüsste, dass eben jenes Flair den sportlichen Alltag kennzeichnet. Niemand geringeres als ein über die Stadtgrenzen hinaus äußerst semi-prominenter Klub wie der FC Kray sollte RWE den letzten Hauch von Dünkel ausgetrieben haben. Ein 0:0 gegen einen Klub, für den die Regionalliga eine bessere Klassenfahrt ist. Spieler, Trainer und Verantwortliche fanden deutliche Worte. Wie die nach solch einer peinlichen Nummer nun mal gefragt sind. Man kritisierte sich selbst und gelobte artig Besserung. Zunächst gelang das auch ganz manierlich.
Nun die nächste Pflichtaufgabe. Leichte Schulter? Ach was. RWE kennt nur ein Gas: Vollgas! Gerade, weil es für den VfB Hüls um die letzte Chance ging, die Klasse zu halten, mal wieder. Das würde auch schon circa den größten Erfolg der rund 65-jährigen Vereinsgeschichte bedeuten. So viel zur Orientierung. Doch Rot-Weiss Essen ist es längst gewohnt, sich mit Vereinen mit beschaulichem Umfeld zu messen. Neu ist, dass das Wrobel-Team sich gegen einen der Underdogs dieser Liga bis über die Grenze zur Fremdscham vorführen lässt. Hand drauf, das Ergebnis ist kein Irrtum! RWE hat sich gegen einen phasenweise famos aufspielenden VfB Hüls mit 0:5 blamiert. Wenn das mal reicht.
Wrobel gestand ohne Umschweife: Das war die bitterste Niederlage seiner Laufbahn. Kapitän Vincent Wagner relativierte, machte es damit aber kaum besser. Neben der 1:5-Klatsche in Siegen vor wenigen Monaten fiel ihm zum Vergleich nur die Pleite gegen den VfB Lübeck ein. Jenen 90 Minuten, die als beinahe identitätsstiftendes Trauma die jüngere rot-weisse Vereinsgeschichte geprägt haben. Dem Spiel, das überhaupt Schuld daran ist, dass RWE am Dienstag hier spielen musste. Während es einige Essener vorzogen, gar nichts zu sagen, gab sich Wrobel immerhin Mühe: "Wenn man von Leistung sprechen will, muss man überhaupt erstmal eine anbieten." Wie sich der 43-Jährige den abermaligen, ungleich düstereren Lapsus nach der Kray-Blamage erklärte? "Ich weiß es nicht. Ich hätte eigentlich gedacht, dass es nicht schlechter ging, als gegen Kray..."
Es ging. Der VfB darf einem bei der Geschichte dieses Abends fast ein wenig leid tun, denn über das Debakel des Favoriten geht beinahe unter, wie zielstrebig, effizient und abgeklärt das Team von Martin Schmidt die Gäste herspielte. Allein das Offensivtrio um Kadir Mutluer, Christian Erwig und Kamil Bednarski erteilte RWE eine Lehrstunde: Erwig (27.) und Bednarski (40.) legten vor der Pause den Grundstein. Entscheidendes ereignete sich in der Pause: Wrobel nahm den angeschlagenen Kevin Grund aus dem Spiel. Nach dem frühzeitig ausgeschiedenen Cebio Soukou bereits der zweite verletzungsbedingte Wechsel. Als folgenschwerer erwies sich jedoch die Entscheidung, defensiv auf eine Dreierkette umzustellen: RWE riskierte alles und erntete einen Wirbelsturm. Mutluer (55.) und Erwig (58., 61.) stellten früh auf 0:5. Hüls verzeichnete verbindliche Konterchancen im Minutentakt. Ganze 19 Minuten sah sich der Coach dieses abstruse Spektakel an und brachte mit Roberto Guirino einen vierten Mann für die Kette.
Schadensbegrenzung war das einzige, das RWE in den letzten Minuten mühevoll glückte. Beim VfB Hüls! Der hat in dieser Form eigentlich schon die Pflicht, sich mit dem Klassenerhalt zu belohnen. Allein schon, um RWE noch einmal zu begrüßen. Nicht nur in Sachen guter, alter Fußballwelt ist der VfB ein Farbtupfer in der Regionalliga. Wenngleich für RWE ein rabenschwarzer.
Zur Einordnung: Mutluer, einer der herausragenden Akteure dieses denkwürdigen Abends, konnte sich nicht zu seiner Leistung äußern. Er musste zur Nachtschicht!