Man könnte meinen, dem jungen Mann drohe gleich eine Mannschaftsstrafe. Eine Stunde nach dem angesetzten Trainingsbeginn trabt er auf den grünen Teppich neben dem Lohrheidestadion. Er trägt ein blaues Shirt – „Deutschland“ steht auf dem Rücken. Er ist Nationalspieler. Seine Verspätung hat einen wichtigen Grund. Eine Strafe droht ihm daher nicht.
Anderthalb Stunden zuvor hat sich in den Zeitplan der Fußball-Nationalmannschaft der Gehörlosen Unvorhergesehenes eingeschlichen. Vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen Serbien im Wattenscheider Lohrheidestadion (Samstag, 15 Uhr) stattete die Nationale Anti Doping Agentur (NADA) der Mannschaft von Frank Zürn überraschenden Besuch ab.
Dopingkontrolle nervt den Trainer
Der Bundestrainer wirkt ein wenig genervt davon. „Selbst wenn ein positiver Befund dabei wäre, könnte ich darauf schwören, dass niemand absichtlich eine verbotene Substanz nimmt“, sagt er. Zum einen, weil er seine Spieler kennt. Zum anderen jedoch, „weil sie nicht auf professionellem Niveau spielen. Daher würde das gar nichts bringen.“
Dass es ein Spieler seiner Mannschaft mal in den bezahlten Fußball schaffen kann, hält er für beinahe ausgeschlossen. „Viele bringen die körperlichen Voraussetzungen zwar mit. Aber auf dem Platz ist die Kommunikation eben wichtig. Und dann wird es schwierig für alle.“ Zudem, und das stellt er immer wieder fest, wenn seine Spieler miteinander trainieren, hätten viele das Problem, dass sie ihren Heimtrainer nicht verstehen. „Ich merke, wie sie es genießen, wenn sie bei der Nationalmannschaft kommunizieren können.“
Leistungsfähigkeit entspricht Verbandsliga-Niveau
Zu vergleichen sei die Leistungsfähigkeit in etwa mit der einer Verbandsliga-Mannschaft. Wohl auch deshalb hält sich das öffentliche Interesse noch in einem engen Rahmen.
In anderen Ländern sei das ganz anders. Beim amtierenden Weltmeister Türkei zum Beispiel bekundet Präsident Recep Tayip Erdogan regelmäßig per Twitter seine Sympathie zur Gehörlosen-Auswahl. Auch in den Ländern, die in der Rangliste knapp hinter den Türken rangieren, sei die jeweilige Verzahnung zwischen dem nationalen Fußball-Verband und dem Gehörlosen-Sportverband besser. In Russland zum Beispiel, in der Ukraine, in Ägypten. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hingegen halte sich mit einem Engagement bislang zurück.
DGSV-Team zählt zu den Top 5 der Welt
Doch Zürn warnt vor einem vorschnellen Urteil. „Wenn nur wir finanzielle Unterstützung erhielten, dann würden die anderen Abteilungen ja benachteiligt.“ Denn die Nationalelf gehört dem Deutschen Gehörlosen-Sportverband (DGSV) an. Demnach spielen auch verbandspolitische Gründe eine gewichtige Rolle für die Entscheidung des DFB.
Und dennoch: Die DGSV-Auswahl gehört zu den Top 5 der Welt. Im Spiel gegen Serbien, das in der Qualifikation überraschend die favorisierten Italiener schlug, zählt die Zürn-Elf als Favorit. „Ich gehe davon aus, dass wir uns für die Europameisterschaft qualifizieren“, sagt der Trainer. Ob es dort zum Titelgewinn reichen wird? „Das ist sehr schwierig zu sagen. Wir sind nicht chancenlos, haben aber auch starke Konkurrenz.“
Die wichtigsten Fragen und Antworten zu Regeln und Kommunikation:
Wer darf in der Gehörlosen-Mannschaft mitspielen? Die Spieler dürfen nicht mehr als 55 Dezibel hören. Das entspricht etwa einem Gespräch in Zimmerlautstärke. Die Bezeichnung „gehörlos“ ist daher etwas irreführend. Auch Spieler mit Hörbehinderung dürfen zum Kader gehören.
Wird die Beeinträchtigung bei einem Turnier überprüft? Ja, es gibt bei der Weltmeisterschaft ebenso Audio-Reaktionstests wie bei einer Europameisterschaft. Zuvor finden Tests auf nationaler Ebene ab. Bundestrainer Frank Zürn: „Die sind in Deutschland besonders zuverlässig.“
Wie kommuniziert der Bundestrainer mit den Spielern? Frank Zürn ist mit der Gebärdensprache aufgewachsen. Er kam als Kind gehörloser Eltern zur Welt. Sein Vater spielte Fußball – so fand er den Weg zum Sport. Er kann mühe- und lückenlos los mit seinen Spielern kommunizieren.
Wie agiert der Schiedsrichter? Da die Spieler die Pfeife nicht hören könnten, trägt der Unparteiische eine Fahne mit sich, mit der er winkt, sobald er das Spiel unterbrechen muss. Es gelten die Regeln der FIFA. Die Spieler müssen ihre Hörgeräte herausnehmen. Das soll Chancengleichheit garantieren.