Norbert Elgert (61) ist seit 22 Jahren Trainer der Schalker U19-Nachwuchsmannschaft. Durch seine Talent-Schule sind Stars wie Benedikt Höwedes, Mesut Özil oder Manuel Neuer gegangen. Noch heute pflegt Elgert gute Kontakte zu seinen ehemaligen Spielern. Im WAZ-Interview spricht Elgert über die aktuelle Saison, die Nachwuchsentwicklung allgemein und über seine Ansätze, warum aktuell so wenig deutsche Klasse-Talente nachrücken.
Herr Elgert, dass Ihre Schalker U 19-Mannschaft die Hinrunde der A-Junioren-Bundesliga auf Rang zwei, nur einen Punkt hinter dem BVB beendet hat, war nach dem holprigen Start nicht unbedingt absehbar. Norbert Elgert: Das ist richtig. Wir haben uns in der Meisterschaft sukzessive zu einem richtigen Team entwickelt und stehen vor Spitzenmannschaften wie dem 1. FC Köln und dem VfL Bochum, was uns alle Chancen für die Rückrunde lässt. Dass wir so gut gepunktet haben, ist das Resultat von intensivem, hochkonzentriertem Training. Die Mannschaft hat sich mit der Zeit immer besser gefunden.
In Youth League musste Schalke hingegen viel Lehrgeld bezahlen. Mit nur einem einzigen Punkt aus sechs Spielen ist Ihre Mannschaft ausgeschieden.
Elgert: Ja, das tut weh. Rein von den Ergebnissen war das brutal schwach und zeigt, dass wir uns zumindest derzeit nicht mit der europäischen Spitze messen können. Wir konnten das aber über viele Jahre, und ich bin sicher, dass wir das auch irgendwann wieder können, wenn wir im Verein gemeinsam die richtigen Entscheidungen treffen.
Werden in der Winterpause neue Spieler zur U 19 stoßen? Elgert: Ich wünsche mir schon, dass uns eine Verstärkung für die Rückrunde gelingt. Als Vorgriff auf die neue Saison. Uns allen ist bewusst, dass wir uns verstärken müssen, um auch den einen oder anderen Spieler mehr zu haben, der den Sprung in den Profikader schaffen kann.
Mit Ahmed Kutucu haben Sie einen Ihrer Spieler zu den Schalker Profis abgegeben, weil dort wegen der Verletzungs-Probleme dringender Bedarf bestand. Wie bewerten Sie die Leistungen Ihres Stürmers? Elgert: Ahmeds Saisonvorbereitung war nicht optimal, so dass er mit Verletzungen zu kämpfen hatte und eine lange Anlaufphase gebraucht hat. Es hat ein gutes halbes Jahr gedauert, bis er die Verfassung erlangt hat, in der er sich jetzt befindet. Dass er in der Lage ist, der Profimannschaft punktuell zu helfen, hat er in den vergangen Spielen gezeigt. Wir müssen uns aber davor hüten, dass wir junge Spieler überhypen. So wie das bei Donis Avdijaj passiert ist. Wen die Götter zerstören wollen, den erklären sie zum Supertalent. Ich sage: Immer mit der Ruhe, sonst könnte es daneben gehen. Wenn wir gemeinsam mit Ahmed vieles richtig machen, dann könnte es etwas werden. Er hat eine Top-Einstellung, arbeitet fleißig an sich. Es geht darum, dass die Jungs nicht verheizt werden. Ich muss die Spieler hier nicht festhalten. Ich brauche auch keine Titel mehr. Es geht um Ausbildung.
Bundestrainer Joachim Löw will die Ausbildung der Talente auch deswegen vorantreiben, weil er in den Jahrgängen unter Serge Gnabry und Leroy Sané zu wenig „Eins-gegen-Eins-Spieler“ sieht. Elgert: Vieles ist temporär. Vor zwei, drei Jahren haben wir uns noch darüber unterhalten, wie toll der deutsche Jugendfußball ist. Die Ausbildung ist hier nach wie vor gut. Es hat auch viel mit den Jahrgängen zu tun. Und ich habe da einen Ansatz.
Und welchen? Elgert: Wir neigen in Deutschland zu Perfektionismus, zertifizieren wie verrückt unsere Nachwuchsleistungszentren. Nach dem Motto: Alle jagen den drei Sternen nach. Wir neigen zu sehr zum Vereinheitlichen und zum Verschriftlichen. Als Trainer bewegst du dich heute mehr am Schreibtisch und am Laptop als auf dem Fußballplatz. An erster Stelle steht aber der Mensch, der Spieler. Dann kommen Training, Spiel und Spiel-Vor-und Nachbereitung. Wir verlieren uns zu sehr in Nebensächlichkeiten.
Wie meinen Sie das? Elgert: Wenn wir alles zu sehr vereinheitlichen, verlieren Trainer schnell ihre Kreativität. Das bedeutet: Trainer die nicht kreativ sind und eigene Ideen entwickeln und verwirklichen dürfen, bilden auch keine kreativen Spieler aus. Gerade in der Offensive müssen wir den Talenten Freiräume und Kreativitätsspielräume lassen. Sie müssen selbst Entscheidungen treffen und nicht immer darauf warten, was der Trainer ihnen vorgibt. Ich möchte, dass meine Spieler auch mal was riskieren – trotz aller taktischen Vorgaben, die man als Mannschaft einhalten muss. Ich sage ihnen: Macht mal was Verrücktes. Auch, wenn ich draußen die Hände vors Gesicht schlage (lacht).
Immer öfter hört man Vorwürfe, dass auch junge Fußballer schon zu sehr hofiert werden und dass es ihnen in allen Bereichen möglichst leicht gemacht wird. Stimmt das tatsächlich? Elgert: Teilweise ja. Ihnen soll es auch gut gehen, aber wenn dir alles abgenommen wird, entwickelst du keine Selbstständigkeit und lernst nicht, Entscheidungen zu treffen. Aber das musst du auf dem Platz. Viele haben großes fußballerisches Talent. Aber du brauchst auch ein Talent dafür, Widerstände, Schwierigkeiten und Hindernisse zu überwinden. Zu viele bewegen sich zu früh in einer Art Komfortzone. Wer es noch nicht einmal geschafft hat, die Zugspitze zu besteigen, kommt auch niemals auf den Mount Everest. Wenn man nicht lernt, kleine Schritte zu machen, dann schafft man die großen Schritte nicht.
Sollten Talente die komplette Knappenschmiede durchlaufen, bis sie es eventuell nach oben zu den Profis schaffen? Elgert: Das ist sicher der Idealfall. Und es wird sicherlich auch wieder Spieler geben, die von ganz unten nachwachsen. Aber wir brauchen auch Quereinsteiger. Es ist keine Schande, wenn ein Spieler nur ein Jahr bei uns in der A-Jugend spielt. Warum sollte er dann nicht als Knappenschmiede-Spieler gelten? Und es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit immer noch der günstigere Weg. Wenn ich drei Talente, von denen wir alle überzeugt sind, nach Schalke hole, und am Ende einer von ihnen nach seiner Ausbildung in der U19 eine Verstärkung für die Profis ist, hat sich der Aufwand gelohnt.
Welches Argument gibt es für Nachwuchsspieler, zu Schalke und nicht zu anderen Klubs zu wechseln? Elgert: Die Chancen, nach oben durchzukommen, sind auf Schalke sicher nicht kleiner als bei anderen Vereinen. Im Gegenteil. Vereine wie Bayern oder Leipzig klotzen sicherlich, beide sind tolle Klubs. Wenn diese Vereine aber eine Vielzahl von Spielern mit enormer Qualität holen, dann ist die Chance für einen Einzelnen, sich dort durchzusetzen, vermutlich geringer als bei uns auf Schalke. Autoren: Christoph Winkel und Thomas Tartemann