Nach der eigentlichen Übungseinheit stand am Mittwoch im Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft für die Abwehrspieler noch eine Sonderschicht auf dem Programm. Basteln an der Viererkette stand unter der Leitung von DFB-Trainer Joachim Löw für die deutschen Defensivspezialisten Arne Friedrich, Jens Nowotny, Robert Huth, Per Mertesacker und Marcell Jansen für mehr als 40 Minuten im "Stade de Geneve" an. Zwei Wochen vor dem WM-Start ist das Nachsitzen der deutschen Abwehrreihe ein Indiz dafür, das noch einige Arbeit auf die deutsche Nationalmannschaft wartet.
"Dieses Gruppentraining ist nötig, um Sicherheit zu gewinnen. Wir müssen die Abläufe automatisieren, zudem die Kommunikation untereinander verbessern", erklärte Löw. Dass auch die Fans Vorbehalte der deutschen Abwehr gegenüber haben, unterstrich eine repräsentative Meinungsumfrage im Auftrag des Sport-Informations-Dienstes (sid). Für immerhin 39,5 Prozent der Befragten ist die deutsche Verteidigung "nicht WM-reif".
Löw, der Assistent von Bundestrainer Jürgen Klinsmann, gestand ein, dass das Nachsitzen für den "Leistungskurs" Viererkette auch deshalb vonnöten sei, weil diese Abwehrformation in den Klubs unterschiedlich interpretiert werde: "Wir müssen richtig verschieben, richtig rein- und rausrücken und zudem eine gute Spieleröffung hinbekommen. Dass zu perfektionieren, wird aber äußerst schwierig."
Erfahrener Lehmann gibt Hilfestellung
Hilfestellung bietet bei diesen Spezialeinheiten auch Torwart Jens Lehmann, der sich in den kurzen Pausen seine Vorderleute immer wieder zur Seite nimmt und auf sie einredet. "Jens hat einen großen fußballerischen Sachverstand. Nicht zuletzt aufgrund seiner großen Erfahrung bei Arsenal, wo er ebenfalls hinter einer jungen Abwehr spielt, kann er den Spielern viel mit auf den Weg geben", urteilt Löw über die neue Nummer eins zwischen den deutschen Pfosten.
Für den England-Legionär, der in der vergangenen Saison nach eigenen Angaben 27 verschiedene Abwehrreihen vor sich gehabt hat, verfügt die deutsche Mannschaft über eine gute Defensiv-Qualität: "Da sind im Gegensatz zu Arsenal viele Spieler dabei, die schon über eine gewisse Erfahrung verfügen." Auf deutscher Seite zählt auf alle Fälle Jens Nowotny dazu, der mit seinen 32 Jahren auf einen Stammplatz bei der WM hofft.
Im Testspiel der DFB-Auswahl Dienstagabend gegen Drittligist Servette Genf (2:1) spielte Nowotny in der zweiten Hälfte mit Per Mertesacker in der Innenverteidigung. Vor der Pause, als die Hausherren zum Ausgleich kamen, wurde das Duo Mertesacker/Robert Huth getestet. "Wir haben uns sehr schwer getan. Es war kein Spiel, in dem wir die ganze Zeit überlegen waren", räumte Löw ein, einige Sachen hätten dennoch ganz gut geklappt.
In die Tiefe statt in die Breite
Dazu gehörte allerdings nicht das geforderte "Spiel in die Tiefe", bei dem vor allen die "Hintermänner" Defizite offenbarten. "Wir haben den Abwehrspielern am Mittwochmorgen eine DVD gezeigt, wo die Fehler aufgezeigt wurden. Wir haben fast 50 Prozent in die Breite gespielt, genau das, was wir nicht wollen", erklärte der Klinsmann-Assistent, der beim Training sogar einmal richtig laut wurde. "Ich musste Robert daran erinnern, dass die Aufgabe anders gestellt war, als er sie ausgeführt hat", beschrieb Löw die Szene mit Huth, der bei einer Übung den Ball wieder zur Seite gespielt hatte.
Auf das Personal für das Eröffnungspiel gegen Costa Rica am 9. Juni in München haben sich Klinsmann und Löw noch nicht festgelegt. Arne Friedrich auf der rechten Seite und Mertesacker sind wohl gesetzt, Nowotny und Huth streiten um den zweiten Platz in der Innenverteidigung. Links hofft Klinsmann weiter auf Philipp Lahm, der nach seiner Operation am Ellenbogen in der nächsten Woche wieder ins Mannschaftstraining einsteigen soll. "Sein Heilungsverlauf ist besser als erwartet. Er hat genug Zeit, auch wieder das Zweikampfverhalten zu trainieren", äußerte Löw.
Nach der intensiven Abwehrarbeit am Vormittag gönnte Klinsmann seinen Spielern erstmals nach acht Tagen Trainingslager auf Sardinien und in Genf am Mittwoch einen freien Nachmittag. "Wir haben nicht zuletzt beim Spiel gegen Genf gesehen, dass eine gewisse Grenze erreicht ist. Deshalb muss man den Spielern eine kleine Verschnaufpause geben", sagte Löw.