Was haben George Michael, MacGyver, Dieter Bohlen, Chuck Norris und Rudi Völler gemeinsam? Die Internet-Enzyklopädie Wikipedia führt sie alle als „Vorreiter“ der „Vokuhila“-Frisur. Trotz der unbestrittenen Verdienste dieses illustren Zirkels, eine Ehre wurde keinem der modischen Überzeugungstäter zuteil. Sie alle schielen ehrfürchtig nach Tschechien, dort trägt man „Jágr“. Und das weißgott nicht, weil der Eishockey-Crack Jaromir Jágr der einzige gewesen ist, der sich dort in den 80er und 90er Jahren dieses coiffeurristischen Kapitalverbrechens schuldig gemacht hätte. Vielmehr vermittelt diese Randnotiz eine Ahnung von dem Stellenwert, den er in seiner Heimat genießt. Jágr ist mehr als nur ein Eishockeyspieler, er ist eine Legende, ein Halbgott auf Kufen.
Wo Jágr war, war immer oben. Wirklich immer? Nun gut, da wäre diese eine Mal: Im Januar 1995, an dem Tag, als dem Jaromir Jágr nach Schalke kam. Wer damals dabei war, berichtet noch heute mit großen Augen und erntet meist ungläubiges Kopfschütteln. Und doch, der Weltstar gab sich tatsächlich die Ehre. Ein kurzfristiger One-Night-Stand bei den Schalker Haien, mehr nicht.
Kay Fischbach, „Mr. Schalker Haie“, erinnert sich an ein Schlüsselerelebnis. An jenem Abend im Januar war er noch einer unter vielen Zuschauern in der bis unters Dach ausverkauften Emscher-Lippe-Halle. „Ein Freund hat mich mitgeschleppt. Das war ja ein Riesenereignis damals, eine ganz große Sache.“ Die ihn derart begeisterte, dass er wenig später sogar das Ruder beim Verein in die Hand nahm. Es kam ein Eishockeylaie, es ging der künftige Präsident der Haie. Die Fäden des Deals zogen aber noch andere. Etwa Gerd Meyer, langjähriger Schatzmeister und Weggefährte Fischbachs.
Aber der Reihe nach: In der nordamerikanischen Profiliga NHL lagen zu dieser Zeit die Klubeigentümer und die Spielergewerkschaft im Clinch. Streitpunkt: Die aus sicht der Vereinsbosse überhöhten Spielergehälter. Da die zerstrittenen Parteien sich nicht einig wurden, folgte schließlich der sogenannte „Lockout“, ein Spielerstreik.
Viele Profis nutzen die „freie“ Zeit, um in Europa Geld zu verdienen, vornehmlich natürlich in den Eliteligen. Damit einer wie Jagr in Gelsenkirchen aufschlägt, bedurfte es also trotzdem eines kleinen Wunders, oder guter Kontakte. Peter Fiala, damals Spielertrainer der „Haie“, hatte solche Kontakte. „Das ist diese ganze Truppe aus Kladno, der Geburtsstadt Jagrs“, erklärt Meyer. „Dort treffen die sich jedes Jahr und spielen gegen Pilsen, das ist so wie hier Dortmund gegen Schalke.“ Und kurzum bat Fiala seinen Kumpel, ob er nicht einen Zwischenstopp im Ruhrgebiet einlegen wolle. „Und so kam das dann zustande“, schmunzelt Meyer.
Wohl aber auch, weil der damals wohl beste Eishockeyspieler des Planeten mit Starallüren wenig anfangen konnte. „Ich habe den persönlich vom Flughafen abgeholt und wir hatten die teuerste Suite im Maritim-Hotel gebucht, aber der wollte lieber bei Fiala pennen, obwohl der gar kein zweites Bett hatte. Am Ende hat er dann dort auf einer Liege geschlafen.“
Die Gage für sein Engagement fiel entsprechend bodenständig aus. Fischbach: „Das einzige, was er haben wollte, war ein Jägerschnitzel mit Pommes und Majo.“ Nun gut, es war fast das einzige, denn sein Klub, die Pittsburg Penguins, wollten ihren Star natürlich gut versichert wissen. „Das hat für drei Stunden von 20 bis 23 Uhr 7000 US-Dollar, damals ungefähr 15.000 D-Mark, gekostet. Vor dem Spiel hat der Versicherungsfachmann dann veranlasst, dass wir die Eismaschine noch ein zweites Mal rausschicken, damit er nicht zu früh aufs Eis geht“, erinnert sich Fischbach.
Das Warten aber sollte sich lohnen, denn was der Tscheche auf das Eis der Emscher-Lippe-Halle zauberte, verzückt noch heute alle Augenzeugen. Den ersten Treffer markierte Jagr nach 27 Sekunden selbst, fortan ließ er es etwas ruhiger angehen. „Er hat, glaube ich, 17 Dinger aufgelegt, am Ende stand es 20:3 für uns“, grübelt Fischbach. Glücklicherweise ging es weder für die Schalker noch für den damaligen Gegner, die Herner Miners, zu diesem Zeitpunkt sportlich noch um etwas. „Deshalb war es einfach eine tolle Sache. Er hatte sogar eine leichte Zerrung und hat deshalb nur mit 60 Prozent gespielt“, erläutert Meyer.
„Aber wie der die Tore aufgelegt hat, das war schon unglaublich, da musste man nur noch den Schläger hinhalten, selbst ich hätte noch fünf Stück gemacht und ich kann überhaupt kein Eishockey spielen. Das war ein Unterschied wie zwischen Bundesliga und Kreisklasse.“ Dennoch waren die Spieler durch die Bank hellauf begeistert. „Na klar“, meint Meyer, „das war ein Erlebnis, mit so einem Mann auf dem Eis stehen zu dürfen. Der war so schnell, den hat man fast gar nicht gesehen.“
Und auch anschließend gab sich der „Überirdische“ erstaunlich bodenständig. „Der hat noch bis ein Uhr in der Kabine gesessen und Trikots unterschrieben“, weiß Fischbach. „Und sein Jägerschnitzel hat er dort auch bekommen.“ „Eben überhaupt kein arroganter Typ“, ergänzt Meyer. Am nächsten Tag ging es für Jagr dann mit dem Kumpels nach Kladno. Mit dem Auto, versteht sich.