Über 14 Jahre mussten die Fans von Rot-Weiss Essen auf diesen Moment warten – einen Sieg im Profifußball.
Am Freitagabend platzte dann der Knoten und die Essener belohnten sich im Heimspiel gegen Erzgebirge Aue für eine leidenschaftliche und willensstarke Leistung mit einem nicht unverdienten 2:1-Erfolg. Party-Stimmung an der Hafenstraße? Denkste!
Während des Spiels war die Atmosphäre außergewöhnlich gut und die Fans von RWE trieben ihr Team bedingungslos nach vorne. Die Spieler zahlten den lautstarken Support mit einem engagierten Auftritt zurück. Doch was danach folgte, damit hätte wohl niemand gerechnet. Anstatt sich ausgiebig von den eigenen Anhängern feiern zu lassen, machte sich die Mannschaft nur wenige Minuten nach dem Abpfiff auf den Weg zurück in die Katakomben.
Es gab keine "Welle" und keine gemeinsamen Feierlichkeiten nach dem so wichtigen ersten Saisondreier, nur eine kleine Ehrenrunde. Der Grund: Eine Art "Protestaktion", nachdem die Spieler in der vergangenen Woche – auf der Rückfahrt aus Bayreuth – Augenzeuge von gewalttätigen Auseinandersetzungen unter den eigenen Fans wurden.
Diese Reaktion ging augenscheinlich gründlich schief und die Mannschaft erntete ein lautes Pfeifkonzert. "Wir sind Essener und Ihr nicht", skandierten einige RWE-Fans auf der Westkurve in Richtung des Teams. Das war natürlich eine völlig überzogene Reaktion, nachdem die Mannschaft 93 Minuten für den Sieg, für Rot-Weiss Essen gekämpft hatte. Aber auch viele andere Zuschauer konnten es kaum fassen und verließen aufgebracht das Stadion. Das Problem: die fehlende Kommunikation. Viele RWE-Fans wussten nicht, warum die Mannschaft sich nicht wie gewöhnlich feiern lässt.
Im Anschluss wurde weniger über den errungenen ersten Saisonsieg, sondern viel mehr über den Konflikt zwischen Mannschaft und Fans diskutiert. Damit haben sich die Essener eine unnötige Baustelle aufgemacht.
Das war definitiv der falsche Ort und Zeitpunkt – und vor allem kam es unerwartet für einen Großteil der RWE-Fans, die mit diesem besagten Vorfall nichts zu tun hatten. Sie wollten einfach nur mit den Protagonisten auf dem Rasen feiern, doch am Ende war die zuvor so gute Stimmung merklich getrübt. Dass die Spieler Gewalttätigkeiten innerhalb der eigenen Fan-Szene verurteilen, ist vollkommen normal und richtig. Dennoch hätte man als Verein in der Kommunikation mit den eigenen Zuschauern, am besten bereits im Vorfeld der Partie, einen anderen Weg finden müssen. Eine Ankündigung der "Protestaktion" hätte wohl für weitaus mehr Verständnis gesorgt. Beispiel: ein Banner gegen Gewalt, das die Mannschaft nach dem Schlusspfiff oder vor dem Anstoß hätte hochhalten können.
Die Fans sind das Faustpfand von Rot-Weiss Essen
Dauerkarten – und Mitgliederrekorde vor der Saison, fast volle Stadien gegen Elversberg, Köln und Aue und über 5000 Gästefans bei den Derbys in Duisburg und Dortmund – das sind alles keine Zahlen eines gewöhnlichen Drittliga-Aufsteigers. Auch nach dem Fehlstart mit sechs sieglosen Spielen in Serie gab es nie Pfiffe, sondern immer aufmunternde Worte für den Liga-Neuling. Selbst auf die über 500 Kilometer lange Reise nach Bayreuth wurden die Essener von über 1000 Zuschauern begleitet. Klar ist: Die Fans sind das Faustpfand von Rot-Weiss Essen – in guten wie in schlechten Zeiten. Deswegen sollte sich der Verein bemühen, diese Situation schnellstmöglich zu klären, damit vor dem Auswärtsspiel in Osnabrück wieder der sportliche Aspekt im Vordergrund steht.
Positiv war, dass sich die Mannschaft nach rund zehn Minuten wieder auf den Weg zu den Fans machte. Vor der Westkurve gab es einen langen, intensiven Austausch. Publikumsliebling Felix Herzenbruch sprach per Megafon zu den größtenteils erbosten Zuschauern. Vereinzelt ernteten die Spieler dann auch Applaus. Diese offene Kommunikation war der erste Schritt in die richtige Richtung. Denn es geht nur gemeinsam bei Rot-Weiss Essen. Das sollten alle Parteien - schnellstmöglich (!) - wieder verinnerlichen.