Seinen Fußball-Kosmos hat Kai von der Gathen verkleinert. Das große Stadion heißt jetzt „Begegnungsraum“, die Mixed-Zone, in der Spieler und Gegenspieler sowie Journalisten zusammentreffen, ist der Flur der KiTa „Mühlenbruch“. Und gespielt wird maximal „Sechs gegen Sechs“. Auf kleine Plastiktore.
Der 24-Jährige hat sich gegen eine Profi-Karriere und für die Ausbildung zum Erzieher entschieden. Sein Anerkennungsjahr macht er in der Kindertagesstätte in Essen-Stoppenberg.
"Begegnungsraum" wird zum kleinen Fußballplatz
Jeden Donnerstag wird der „Begegnungsraum“ zum kleinen Fußballplatz. Im Sommer geht es mit dem Ball an die frische Luft. Bis zu 18 Kinder, sagt von der Gathen, haben sich für das Projekt gemeldet, das er während seiner einjährigen Einsatzzeit ins Leben gerufen hat. So ein Projekt ist im Anerkennungsjahr Pflicht. Beim Innenverteidiger von Westfalenligist TSV Marl-Hüls geht es um Fußball – was auch sonst?
Seitdem er da ist, dreht sich im Mühlenbruch alles um das runde Leder. Pardon – um den runden Plastikball. Die Kinder spielen schließlich barfuß. Die Angst um die Fensterscheiben spielt da auch eine Rolle. „Da sind ein paar Jungs dabei, die schon einen ganz schönen Rums haben“, erklärt von der Gathen. „Ich bekomme auch mit, dass sich der ein oder andere im Verein angemeldet hat, an einem Donnerstag, als wir gespielt haben, tauchte sogar plötzlich ein Junge mit Torwarthandschuhen auf“. Einer ist dabei, auf den hat Rot-Weiss Essen schon ein Auge geworfen. Er könnte die gleiche Laufbahn einschlagen, wie es sein „Trainer“ in der KiTa damals getan hat. Bei RWE spielte er bis zur A-Jugend, ehe er zu den Profis geholt wurde. Als die Rot-Weissen im Jahr 2010 in die Insolvenz schlitterten, lag von der Gathen ein Angebot aus der zweiten Bundesliga vor.
Alle Türen standen offen – dann riss sich der Verteidiger das Innenband im Knie. Von heute auf morgen platzte sein Traum wie eine Seifenblase. Besonders für seinen Großvater tat es dem gebürtigen Essener leid. „Von ihm wurde ich in der Jugend immer zum Training gebracht“, erzählt er.
In seinem Hinterkopf war längst ein „Plan B“ gereift. „Ich weiß, ich hätte mehr werden können“, denkt von der Gathen laut. Mit „mehr“ meint er die finanzielle Seite. Wenn er von seiner Entscheidung erzählt, warum er Erzieher geworden ist, dann klingt es so, als wäge er ab. „Ich falle mit 35 Jahren, wenn die Fußball-Karriere vorbei wäre, nicht in ein Loch. Bis ich 60 Jahre alt bin, kann ich noch arbeiten“, sieht er schnell die positive Seite. Mit dem Thema Profi hat er abgeschlossen, obschon er mit seinem jetzigen Klub von größeren sportlichen Erfolgen träumen darf. Der TSV kämpft um den Aufstieg in die Oberliga und hat sich zum Ziel gesetzt, in naher Zukunft in Richtung Regionalliga zu stürmen. In der Grimme-Stadt muss er dreimal pro Woche zum Training. Seit Töchterchen Sophie Anfang März zur Welt gekommen ist, haben sich seine Prioritäten ohnehin verändert. „Ich bin glücklich“, sagt er bestimmt. Niemand würde diese Aussage in Frage stellen.
Das Spiel ist mittlerweile vorbei, die Kinder sind nassgeschwitzt. Kein Abklatschen vor einer Tribüne, stattdessen gibt es Sprudelwasser aus kleinen Plastikbechern. Der Trikottausch kommt natürlich nicht in Frage – die Shirts sind schließlich alle selbstgemacht. Danach geht es in die „Mixed-Zone“. Ein kleines Mädchen mimt die Journalistin und will wissen, wie das Spiel ausgegangen ist. „Das bleibt jetzt eine Woche lang das Thema Nummer eins“, sagt er lächelnd, nachdem er ihr das Ergebnis mitgeteilt hat: „2:1“. Sie wirkt zufrieden. Seine „neue Welt“ ist eine heile. In seinem kleinen Fußball-Kosmos fühlt sich Kai von der Gathen wohl.