Sehr brauchbarer Artikel (geht doch...
) in der NRZ von heute:
Das Ultimatum läuft abFUSSBALL. Bei Rot-Weiß Essen steht wieder die Zukunft auf dem Spiel: Kommt das neue Stadion, bleibt Klubchef Hempelmann?
ESSEN. Es ist ein paar Tage her. Rot-Weiss Essen war gerade abgestiegen. Dritte Liga. Und jetzt, gut 24 Stunden später, saß Rolf Hempelmann im Presseraum an der Essener Hafenstraße. Der Vereinspräsident sprach und sprach, er kam von diesem zu jenem, er beleuchtete alle Details eines Absturzes, als müsse er sich selbst noch einmal klarmachen, wie es dazu kommen konnte. Aber im Gedächtnis haften blieb am Ende vor allem das Thema Stadionbau. Dafür hatte der Fußball-Boss selbst gesorgt, weil ihm ein Satz entfuhr, den er später als "Ultimatum an sich selbst" bezeichnen sollte.
"Er habe keinen Bock mehr", rief er den Journalisten zu. Keinen Bock mehr darauf, ewig zu rechtfertigen, warum die Abrissbirne immer noch nicht da ist. Denn ohne eine neue Arena, daran zweifelt in der Reviermetropole nicht einmal der Oberbürgermeister, lässt sich RWE nicht dauerhaft in der Zweiten Liga halten. "Keiner anderen deutschen Stadt dieser Größenordnung", lästerte unlängst die Frankfurter Allgemeine Zeitung, "fällt es so schwer, einen bedeutenden Sportverein zu etablieren."
Großes GefühlskinoUnd weil das so ist, hat Rolf Hempelmann vor Wochen an jenem 21. Mai 2007, seinen Präsidenten-Posten mit der Stadionfrage verknüpft. Sollte es bis zum 30. Juni, bis zur Jahreshauptversammlung, keine positiven Signale in Sachen Neubau geben, "muss ich diesen Job nicht mehr machen." In dieser Ankündigung des SPD-Bundestagsabgeordneten lag natürlich viel Frust unmittelbar nach dem Abstieg.
Ein Ärger, der heute, unmittelbar vor dem Tag X, ein wenig verraucht zu sein scheint. Jedenfalls dürften vor dem Mitgliedertreffen, das am Samstag im Essener Cinemaxx steigt, diejenigen in der Minderheit sein, die großes Gefühlskino erwarten. Schon wollen Lokalzeitungen erkannt haben, dass der Mann an der rot-weißen Spitze auch über den 30. Juni hinaus Rolf Hempelmann heißen wird.
Wenn dies wirklich so sein sollte, müssten sich die Essener Fans auf eine neue Heimat freuen dürfen. Denn der RWE-Boss, nimmt man ihn tatsächlich beim Wort, darf eigentlich nur dann im Amt bleiben, wenn von irgendwoher ein grünes Lichtlein kommt. Hempelmann selbst spricht in diesen Tagen reichlich nebulös von einer "gedämpften gewissen Zuversicht". Doch worauf diese Zuversicht aufbaut, verrät er nicht. Noch nicht.
Ein Fass ohne BodenAus dem leeren Stadtsäckel, soviel steht fest, ist nicht viel zu erwarten - auch wenn die Georg-Melches-Ruine schon längst nichts anderes mehr ist als ein Fass ohne Boden. Jährlich wird ein Betriebskostenzuschuss von 500 000 Euro fällig und bereits 2004 wurde ein Instandhaltungsstau von 3,4 Millionen Euro ermittelt. Eine Summe, die sich mittlerweile deutlich erhöht haben dürfte, wie Reinhold Paß vermutet.
Der SPD-Frakionschef plädierte deshalb dafür, den Anteil am Stadionbau auf 13,5 Millionen Euro aufzustocken. Doch ein entsprechender Antrag scheiterte vergangene Woche im Rat der Stadt. Die Christdemokraten verwiesen auf die desaströse Kassenlage, sie wetterten über einen "Schauantrag" und schmetterten den Vorstoß gemeinsam mit den Grünen ab: Es bleibe bei der bisherigen Zusage von 7,5 Millionen Euro für den geplanten Neubau, der in drei jährlichen Raten überwiesen werden könnte.
Diese Reaktion passt nur allzu gut ins Gesamtbild. Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger hat zwar zum 100-jährigen Geburtstag von Rot-Weiss Essen hübsche Worte verloren, ob der Mann dem Verein aber irgendwann einmal mit Taten geholfen hat, ist nicht für jedermann nachvollziehbar. Bittet man im Büro des Stadtoberhauptes um ein Interview zum Thema Fußball, kann es passieren, dass man rüde abgewimmelt wird. Kein Kommentar, Rot-Weiß falle allein in die Zuständigkeit von Sportdezernent Christian Hülsmann, sagen Mitarbeiter belehrend. Professionell ist das natürlich nicht, aber zumindest bezeichnend für eine Stadt, die sich offenbar ganz anderen Dingen verschrieben hat.
Zum Beispiel der Kultur. Stellvertretend für das Ruhrgebiet darf sich Essen mit dem Titel "Kulturhauptstadt Europas 2010" schmücken. Und dafür gibt´s natürlich Gründe. Unter anderem die Schmuckstücke Aalto-Theater, Philharmonie oder das Museum Folkwang, das demnächst mit vielen Millionen neugestaltet werden soll. Diese Kluft, dieses zunehmende Ungleichgewicht zwischen einem Kultverein und der Kultur, fällt natürlich auf und ist kaum noch zu vermitteln.
Eine vergleichbare Summe für neue Spieler"Wir haben gesehen", sagt Rolf Hempelmann, "dass die Wirtschaft zu großen Anstrengungen in der Lage ist." Und was bei Kulturbauten möglich ist, so hofft der Politiker zumindest, sollte auch bei einem Sportbau möglich sein. "Wir wollen als Kulturhauptstadt doch nicht auf einem Bein daherkommen", sagt der Politiker und ergänzt: "Man kann nicht harmonisch gehen, wenn ein Bein hinter dem anderen hinterherhinkt."
Was dem Essener Fußball ganz offensichtlich fehlt, ist ein Geldgeber wie Berthold Beitz, der als Kuratoriumsvorsitzender der Krupp-Stiftung längst versprochen hat, nicht weniger als 55 Millionen Euro in das Folkwang-Projekt zu pumpen. Und wenn man nicht gerade ein Anhänger von Bayern München ist, das gerade eine vergleichbare Summe für neue Spieler investiert hat, kann man angesichts solcher Zahlen nur staunen.
Zumal in Essen, wo vor drei Jahren Pläne vorgestellt wurden, nach denen angeblich schon 36 Millionen Euro ausreichend sein sollen, um aus einer ollen Schachtel eine moderne Fußball-Stätte zu bauen. Doch woher sollen die vielen Euros kommen? Rolf Hempelmann bleibt nichts anderes übrig, als Gespräche zu suchen und Sponsoren zu umgarnen, von denen einige seinem Klub, "seit Jahren konsequent zur Seite stehen", wie er versichert.
Gemeint ist das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk (RWE), die Sparkasse oder die Steag, deren Essener Mutterkonzern, die RAG, sich gerade als Hauptsponsor von Borussia Dortmund spendabel zeigt. Jeder Fußballfreund, der eine BVB-Dauerkarte erwirbt, bekommt von der RAG ein nagelneues Trikot der Borussia obendrauf. Billig ist eine solche Aktion nicht, aber zumindest in Dortmund werbewirksam.
Am Berliner Platz fällt der Vorhang"In manchen Chefetagen der führenden Revier-Unternehmen", stellte die FAZ nüchtern fest, "wird unverblümt darauf hingewiesen, dass benachbarte Vereine und Institutionen weitaus stärker dem Anforderungsprofil von Konzernen entsprechen." So ist das im Ruhrgebiet. Es herrscht ein gewaltiger Wettbewerb um Sponsoren, und Rot-Weiß Essen ist nicht die attraktivste Partie auf dem Laufsteg.
Zuletzt hat Duisburg den Essenern den Rang abgelaufen. Durch die neue Arena kann der MSV ein Vielfaches an Umsatz generieren. "Hätten wir schon vor drei Jahren beim Aufstieg gebaut, hätten wir heute eine ganz andere wirtschaftliche Basis", behauptet RWE-Chef Hempelmann, der sein Ultimatum auch als einen "Hilferuf" verstanden wissen wollte. Ob Hilfe naht, ob doch noch jemand um die Ecke kommt und alles gut wird, erfahren die RWE-Fans am Samstag im Filmtheater am Berliner Platz. So oder so. Dort fällt ein Vorhang. (NRZ)
29.06.2007 ARTUR VOM STEIN