Christian Nerlinger, Sie stehen im Trainingslager in Dubai erstmals alleine in der Verantwortung. Wie empfinden Sie diese Situation?
Ich nehme die Entwicklung der vergangenen eineinhalb Jahre schon bewusst wahr und weiß, dass dies eine außergewöhnliche Konstellation ist. Aber ich messe der Tatsache, alleine hier zu sein, keine große Bedeutung zu. Sehen Sie sich der Aufgabe als Nachfolger von Uli Hoeneß gewachsen?
Auf jeden Fall - immer unter der Prämisse, dass ich nicht der große Zampano bin. Ich wachse Schritt für Schritt in diese Aufgabe hinein und bin auch bereit, Verantwortung zu übernehmen. Bayern München ist mein Verein. Es macht viele Dinge einfacher, dass wir im Präsidium und im Vorstand Topleute haben, die mich unterstützen.
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Wie wichtig ist Ihnen ein Ratschlag von Uli Hoeneß?
Sehr wichtig. Es wäre auch sehr unklug, auf einen Austausch mit Uli Hoeneß, Karl Hopfner oder Karl-Heinz Rummenigge zu verzichten.
Wie schwer ist es, nach der Ära Uli Hoeneß einen eigenen Weg zu finden?
Ich werde einfach meinen Weg gehen. Ich werde ja oft gefragt, wie ich in dieser oder jener Situation reagieren werde: Ich kann es nicht sagen. Ich werde das situativ lösen.
Welche Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft?
Eines ist ganz klar: Wir müssen dieses Selbstvertrauen, das Bayern München immer ausgezeichnet hat, auch weiterhin pflegen. Wir müssen die beste Mannschaft in der Bundesliga haben und auch in Europa konkurrenzfähig sein. Das muss man wissen, wenn man für Bayern München arbeitet.
Sie haben zuletzt gesagt, dass Sie für Kontinuität stehen wollen. Ist dies in unserer schnelllebigen Gesellschaft überhaupt noch möglich?
Das wird man sehen, ob das möglich oder naiv ist. Aber es gibt ja Beispiele wie etwa Manchester United, wo sich Kontinuität ausgezahlt hat. Auch da wurden schwere Zeiten mit Alex Ferguson durchgestanden. Es hat sich gelohnt.
Wie wichtig war es deshalb, die erste Krise mit Trainer Louis van Gaal überstanden zu haben?
Das war sehr wichtig, gerade im Einstandsjahr ist der Trainer besonders im Blickfeld. Wenn dann Erfolge da sind, beruhigt das ungemein.
Wie groß waren Ihre Zweifel am Trainer?
Wir haben immer gesehen, dass sehr konzentriert gearbeitet wird. Das ist die Basis für den Erfolg. Deshalb war es immer nur eine Frage der Zeit, wann dies auch greifen wird. Louis van Gaal ist ein Super-Fachmann. Man sieht eine Handschrift. Ich bin hundertprozentig vom Trainer überzeugt.
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Musste auch van Gaal von den Strukturen beim FC Bayern überzeugt werden?
Bei Bayern München muss man wissen, dass es gewachsene Strukturen gibt. Da gibt es keinen Scheich oder Millardär. Da gibt es Leute, die für den Verein leben und viel Ahnung vom Fußball haben. Ich glaube, dass dies ein Qualitätsmerkmal und das Geheimnis des Erfolges ist, dass kontrovers diskutiert wird.
Ist dies bei einem autoritären Trainer wie van Gaal möglich?
Das ist bei ihm möglich. Wir sitzen jede Woche zusammen. Da spricht man alles durch. Es ist dabei wichtig, gemeinsam Entscheidungen zu treffen, etwa bei Transfers. Da muss der Verein dahinterstehen, aber auch der Trainer. Wenn das nicht der Fall ist, machen wir das auch nicht.
Sprechen Sie mit ihm auch über Taktik und Aufstellung?
Wir sprechen alles durch, aber eines ist klar: Er trifft die Entscheidungen. Ich denke aber, dass es immer gut ist, sich mit Leuten auszutauschen.
Wie gehen Sie die kommenden Monate an?
Für mich ist es wichtig, akribisch zu arbeiten. Wir müssen dieses Zweisäulen-Modell fortsetzen. Auf der einen Seite steht unsere Jugendarbeit, die weiterhin Früchte tragen muss. Und auf der anderen Seite müssen bei den Profis die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Das sind schon große Herausforderungen. Aber es gibt beim FC Bayern bereits gewachsene Strukturen, die einiges leichter machen. Wird es auch weiterhin die ganz großen Transfers beim FC Bayern geben?
Wir wollen auch weiter Topleute verpflichten, aber nur, wenn wir das Gefühl haben, dass sie mit dem ganzen Herzen bei der Sache sind. Arjen Robben zum Beispiel, der schon für Chelsea und Real gespielt hat, war sofort Feuer und Flamme. Das sind die grundlegenden Voraussetzungen. Sie wollen die Gehälter auf ein vernünftiges Niveau bringen. Passt dies mit Toptransfers zusammen?
Ein Abramowitsch gleicht bei Chelsea die Bilanz mit 370 Millionen Miesen schnell einmal aus. Das kann nicht der Weg sein, das ist nicht Bayern München. Auf Dauer darf die Schraube nicht immer weiter nach oben gedreht werden, sonst geht der Fußball kaputt. Man muss wieder den normalen Menschenverstand einschalten und auch mal sagen: So geht es nicht.
Birgt dies nicht auch ein gewisses Risiko?
Es kann kein Automatismus sein, dass der FC Bayern bei jeder Vertragsverlängerung mehr Geld bezahlt. Man muss auch einmal nein sagen - auch mit dem Risiko, einen Spieler zu verlieren.
Wie sehen Sie Ihr Verhältnis zu den Spielern?
Ich kann nicht der Freund der Spieler sein. Eine gewisse Distanz ist selbstverständlich. Aber ich kann mich gut in die Spieler hineinversetzen. Ich habe das ganze Spektrum selbst erlebt. Es muss einen offenen und respektvollen Umgang geben. Man muss auch unangenehme Dinge direkt ansprechen. Auch von den Spielern erwarte ich eine ehrliche Einschätzung und keine geschönte Meinung.
Mit welchen Erwartungen startet der FC Bayern in die Rückrunde, immerhin war der Rekordmeister seit 17. Mai 2008 nicht mehr Tabellenführer?
Das muss so schnell wie möglich geändert werden. Das Auftaktprogramm mit den Spielen gegen Hoffenheim und Bremen ist richtungweisend. Ich denke, dass wir die Voraussetzungen gelegt haben. Wir haben es wieder in der eigenen Hand. Ich erwarte, dass wir in der Rückrunde marschieren, wir müssen die Spiele in der Bundesliga gewinnen.
Klingt nach einem Durchmarsch in der Rückrunde?
Man muss sich schon im Klaren sein, dass wir zuletzt einen Lauf hatten und die Gegner auch nicht so schwer waren. So leicht werden wir es nicht mehr haben. Es wird kein Selbstläufer. Es wird ein harter Weg.
Läuft der DFB-Pokal so nebenbei?
Der Pokal läuft nie nebenbei. Wenn man so weit gekommen ist wie wir, will man den Pokal auch gewinnen.
Wie sind die Aussichten in der Champions League?
In der Champions League kommt es mir ein bisschen so vor, als ob Florenz als Glückslos gesehen wird. Aber das wird schwerer als Juventus. Da wird wieder eine außergewöhnliche Leistung vonnöten sein, um weiterzukommen.
Es laufen am Saisonende einige Verträge aus. Wann steigen Sie in die konkreten Verhandlungen ein?
Das werden wir im Frühjahr angehen, Ende Februar, Anfang März.
Wie ist die Tendenz etwa bei Torwart Jörg Butt oder Kapitän Mark van Bommel?
Wir werden keine Wasserstandsmeldungen abgeben. Die Spieler sollen sich voll auf das Sportliche konzentrieren und müssen deshalb den Kopf soweit wie möglich frei haben. Das Signal von Vereinsseite ist aber klar: Wir müssen erfolgreich spielen, dann redet es sich auch leichter.
Was können Sie tun, um wie im vergangenen Sommer Unruhe um Franck Ribery zu verhindern?
Das kann man nicht verhindern. Es hat intern aber nie für Unruhe gesorgt. Es ist ganz normal, wenn man so einen Weltklassespieler hat, dass dann Begehrlichkeiten geweckt werden. Franck Ribery lebt für den Fußball und den FC Bayern. Was transportiert wird, können wir nicht beeinflussen. Das ist für mich, den Trainer oder die Mannschaft kein Problem.
Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass Franck Ribery beim FC Bayern bleibt?
Natürlich sind wir uns bewusst, dass er ein außergewöhnlicher Spieler ist. Wir werden versuchen, ihn zu halten. Aber es muss eine Situation sein, mit der beide Seiten gut leben können - die berühmte Win-win-Situation. Wichtig ist aber erst, dass er jetzt zurückkommt und sich stabilsiert. Dann wird man sich zusammensetzen und schauen, was er will.