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1959 in Köln: Erster türkischer Fußballer in Deutschland
„Hier Türke Taş!“

1959 in Köln: Erster türkischer Fußballer in Deutschland
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Am Abend des 4. Juni 1959 stand ein Mann verloren und allein am Kölner Hauptbahnhof. In der Hand hielt er einen großen Koffer und etwas nervös wartete er auf das Auto, das ihn abholen sollte. Coşkun Taş war angekommen. Als erster türkischer Fußballer wollte er sein Glück im deutschen Fußball machen.

„Anfangs nur für ein Jahr“, wie der zurückhaltende und höfliche Mann fast 50 Jahre später lächelnd erzählt. Obwohl alles anders kam, als vorher gedacht, lebt Taş noch immer in der Domstadt, wo ihn Ralf Piorr besuchte.

Herr Taş, Sie kamen 1959 als erster türkischer Fußballer nach Deutschland. War das nicht ein großes Wagnis? Nicht unbedingt. Mein Vater sprach mit mir als kleines Kind schon einige Wörter deutsch. Zur Zeit des Ersten Weltkrieges war er bereits in Deutschland gewesen. Im Rahmen der engen Beziehungen zwischen dem alten Osmanischen Reich und dem wilhelminischen Kaiserreich wurden junge Türken nach Deutschland zur Ausbildung geschickt. So kam mein Vater 1913 nach Mülheim an der Ruhr in einen Metallbetrieb, verlor dort aber nach einem Arbeitsunfall ein Auge, so dass er schließlich in der Nähe von Leipzig zum Bauzeichner ausgebildet wurde. 1917 kehrte er in die Türkei zurück und ging dann an die ägäische Küste in die Provinzhauptstadt Aydin. Dort wurde ich 1935 geboren.

Wie sind Sie zum Fußball gekomm Zu Fuß. (Lacht.) Der Fußballplatz lag nur 100 Meter von unserem Haus entfernt und alle Kinder haben dort gespielt. Später wollte ich zum Gymnasium gehen und jemand von Aydinspor, dem lokalen Fußballverein, hatte bemerkt, dass ich gut und schnell laufen konnte. So kam ich in den Klub und der Trainer brachte mir das Schießen mit dem Span bei. Flanken habe ich erst später in Istanbul bei Besiktas gelernt. (Lacht erneut.)

Wann sind Sie nach Istanbul gegangen? Nach meinem Abitur 1951. Bei Aydinspor spielte ich bereits zwei Jahre mit einer Sondergenehmigung bei den Senioren, aber ich wollte weiter zur Universität gehen, aber es war nicht so einfach einen Platz zu bekommen. Mein Vater riet mir: „Such dir einen Verein in Istanbul, vielleicht gelingt es dir darüber.“ Und so kam ich zu Besiktas und zu meinem Platz an der Universität.

Sie haben sogar für die Türkei an der WM 1954 in der Schweiz teilgenommen. Ja, 1952 wurde ich Nationalspieler und in der WM-Qualifikation mussten wir gegen die hoch favorisierten Spanier spielen. Wir verloren klar in Madrid, gewannen aber in Istanbul, so dass ein Entscheidungsspiel in Rom angesetzt wurde. Dort hielten wir über die Verlängerung hinweg ein 2:2. Und dann kam unser Glück hinzu. Wir warteten völlig erschöpft und ungeheuer gespannt in der Kabine auf die Entscheidung. Einem italienischen Jungen wurden die Augen verbunden und er zog das Los „Türkei“ aus einem Topf. Damit waren wir qualifiziert. Als wir es hörten, schmissen wir in der Kabine vor unbändiger Freude die Wasserflaschen aus Glas in die Luft und an die Wände. Es war eigentlich ein Wunder, dass niemand verletzt wurde.

Im entscheidenden Spiel bei der WM mussten Sie gegen Deutschland antreten, die zuvor gegen Ungarn haushoch verloren hatten. Hatten Sie sich eine Chance ausgerechnet? Nein, das war nicht möglich. Aber darüber ist ja alles geschrieben worden: Herbergers Finte, gegen Ungarn nur die B-Elf auflaufen zu lassen, das 3:8-Debakel usw. Wir rechneten uns aber trotzdem keine Chance aus. Unsere Mannschaft war nicht so stark, da wir und der türkische Fußball insgesamt noch nicht so gut organisiert waren. Heute ist das durch die europäischen Trainer und die modernen Entwicklungen des Fußballs anders. Damals trennten uns Welten, was die 2:7-Niederlage auch deutlich machte.

Wie sind Sie 1959 zum 1. FC Köln gekommen? Es war meine eigene Initiative. Ich wollte nach meinem Studium gerne deutsch lernen, und über einen Journalisten des „Kicker“, dessen Redaktion in Köln saß, nahm ich Kontakt zum 1. FC Köln auf. Danach bekam ich von Franz Kremer, dem Präsidenten des FC einen Brief, das sie tatsächlich noch einen Linksaußen suchen würden. So bin ich im Juni 1959 auf eigenes Risiko mit einem Schiff nach Venedig und anschließend mit der Bahn nach Köln gefahren. Als ich abends am Hauptbahnhof ankam, wusste ich nicht, was ich machen sollte. Ich hatte weder eine Telefonnummer noch eine Adresse. Ich bin zu einer Telfonzelle gegangen, habe im Telefonbuch geblättert und eine Nummer des 1. FC Köln gefunden, es war das Geißbockheim. Ich habe dort angerufen und wie sich herausstelle, war Franz Kremer direkt am Telefon. Mit meinen wenigen Worten deutsch, die ich von meinem Vater kannte, sagte ich nur: „Hier Türke Taş!“ Kremer war vollkommen verdutzt und antwortete: „Wie?!“ Und ich sagte: „Bahnhof“. Dann sollte ich an einem Blumenladen warten, das Wort „Blumen“ kannte ich auch schon, und seine Frau holte mich schließlich ab. Einige Tage später gab es ein Probetraining und schließlich entschied Kremer: „Du kannst bleiben.“ Kremer besorgte mir einen alten Fiat und ein Praktikum beim Kaufhof. Dort habe ich zusammen mit Karl-Heinz Schnellinger gearbeitet. Für den FC war ich ein gutes Geschäft, denn ich habe keine Ablöse gekostet. Immerhin hatte ich zuvor international mit der Türkei gespielt, mit Besiktas im Europacup der Landesmeister sogar gegen das große Real Madrid mit Puskás, Gento und Alfredo Di Stéfano, der von seinem Können her alle Fußballer überragte, die ich je gesehen habe. Weiter auf Seite 2

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