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Sportstadt Essen: Interview mit Sportdirektor Christian Hülsmann
"Wir verkaufen uns unter Wert"

Sportstadt Essen: Interview mit Sportdirektor Christian Hülsmann

RevierSport sprach mit Christian Hülsmann, Sportdirektor der Stadt Essen, über Masterplan, Stadionbau und Heimatgefühle.

Rot-Weiss in Liga vier, Tusem in der Insolvenz, die Moskitos haben die (mal wieder) gerade hinter sich. Kann man die Sportstadt Essen überhaupt noch als solche bezeichnen?

Es wäre schlimm, wenn sich eine „Sportstadt“ nur über einige wenige Vereine beziehungsweise über die 1. Mannschaften dieser Vereine definieren würde. Ich bin auch ganz sicher, dass die Probleme von TUSEM und den Moskitos wesentlich weniger wahrgenommen würden, hätten wir einen Männer-Fußballklub in der Ersten oder mindestens Zweiten Bundesliga.

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Warum gelingt es gerade in der Ruhrgebietsmetropole nicht, dauerhaft sportlichen Erfolg zu etablieren?

Diese Feststellung ist schlicht falsch. Gott sei Dank gibt es ja noch ein paar Sportarten mehr und in einer ganzen Reihe von ihnen sind wir – seit Jahren – sehr erfolgreich. Ich denke da nur an unsere Schwimmer, Kanuten und Ruderer, alles wichtige olympische Sportarten, bei denen es Essener Sportlerinnen und Sportler immer wieder zu internationalen Meisterschaften gebracht haben bis hin zu Olympiasiegen. Und auch die TUSEM-Handballer haben sich über 25 Jahre in der deutschen und europäischen Spitzenklasse gehalten. Wer bei sportlichen Erfolgen nur Männerfußball im Sinn hat, der sieht in Essen natürlich Defizite.

Kommt manchmal Eifersucht gegenüber Städten auf, die sich mit einem Bundesligisten schmücken können?

Ich beneide diese Städte schon, zumal Fußball heute ja mehr ist als nur der reine Wettkampf. Mit Hilfe der neuen Stadien ist der Besuch eines Bundesligaspiels heute auch ganz allgemein ein Treffpunkt der Gesellschaft einer Stadt bzw. einer Region. Und ehrlich gesagt: So ganz prickelnd ist Dritt- oder Viertliga-Fußball auf die Dauer nicht.

Trägt die Stadt Essen eine Mitschuld an der Misere? Falls ja, wo sind Fehler gemacht worden?

Sofern man in solchen Fällen von „Mitschuld“ reden kann, trifft das sicherlich in einer gewissen Weise auf das Thema „Stadion“ zu. Da ist erst in den letzten zehn Jahren Fahrt reingekommen. Gelsenkirchen und Dortmund dagegen hatten seinerzeit den Mut, sich mit neuen Stadien als Austragungsorte für die Fußball-WM 1974 zu bewerben. In Essen hat man gekniffen. Auch als die berühmt-berüchtigte Westkurve des Georg-Melches-Stadions 1994 abgerissen werden musste, hat man sich nicht gerührt. Diese verfehlte Stadionpolitik kann man sicherlich als „Mitschuld“ bezeichnen.

Zuletzt sorgte der Masterplan Sport für Wirbel, der vor allem als Kürzungsplan verstanden wurde. Wo können Sie aufzeigen, dass die Stadt investiert?

Also beim Masterplan haben sich die Aufregungen mittlerweile weitgehend gelegt, weil die Stadt Essen vor einigen Monaten für die Jahre bis zunächst einschließlich 2012 ein Sonderprogramm für die Sanierung und Modernisierung von Sportstätten und Bädern in einer Größenordnung von 22,5 Mio. aufgelegt hat. So werden wir z.B. in den nächsten Jahren rund 20 Aschesportplätze in Kunstrasen umgestalten – ein Quantensprung in der Attraktivität dieser Sportstätten. Ich glaube, Sie werden in Deutschland nicht viele Städte finden, die in dieser Weise aktiv werden. Und im Rahmen des aktuellen Konjunkturpaketes der Bundesregierung werden wir sicherlich noch eine gehörige „Schippe“ drauflegen können. Beim Stadion haben wir seitens der Stadt erst vor eineinhalb Jahren die Federführung übernommen. Ich bin zuversichtlich, dass wir in wenigen Wochen einen entscheidenden Schritt weiter sind; die Stadt ist jedenfalls bereit, sich in hohem Maße finanziell zu engagieren.

Warum sind die zahlreichen Unternehmen vor Ort so zögerlich mit Ihren Investitionen?

Auch das ist aus meiner Sicht eine falsche Wahrnehmung. Die Unternehmen vor Ort unterstützen den Sport seit vielen Jahren mit erheblichen Finanzmitteln. Wenn Sie aber die Achterbahnfahrt der Rot-Weissen in den letzten 20, 30 Jahren betrachten oder die Doppelinsolvenz der TUSEM-Handballer und die mehrfachen Insolvenzen der diversen Eishockeyvereine, dann muss man doch Verständnis dafür haben, dass in den Vorstandsetagen großer Unternehmen irgendwann jemand die Frage stellt, ob die vielen Gelder sinnvoll eingesetzt worden sind. Gott sei Dank ziehen sich die meisten Unternehmen aber nicht auf Dauer zurück.

„Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl“, singt der Bochumer Herbert Grönemeyer. Was macht für Sie das Heimat- und Lebensgefühl in Essen aus und welche Rolle spielt dabei der Sport?

Ich bin in Essen geboren und mittlerweile knapp 59 Jahre ohne Unterbrechung hier beheimatet. Und das hat ganz viel damit zu tun, dass Essen für mich eine tolle Stadt ist, die sich gerade in den letzten Jahren enorm entwickelt hat. Schauen Sie sich nur an, was zurzeit in Essen investiert wird. Darauf bin ich als „Essener Junge“ sehr stolz. Leider verkaufen wir uns noch zu häufig unter Wert und wurden in der Vergangenheit – wie das gesamte Ruhrgebiet – insbesondere von überregionalen Medien unter Wert dargestellt. Aber auch da hat die Auszeichnung „Europäische Kulturhauptstadt 2010“ eine Menge Positives bewirkt.

Wo sehen Sie Essen in fünf Jahren und warum ist es trotzdem eine Sportstadt?

Ich sehe Essen in fünf Jahren als eine weiterhin liebenswerte Stadt mit einer deutlich verbesserten überregionalen Ausstrahlung und – endlich – mit einem neuen Stadion, in dem dann mindestens ein Zweitligist spielt. Aber „Sportstadt“ sind wir und bleiben wir unabhängig davon. Wir haben nicht nur ein breites Sportstättenangebot, das wir gerade im großen Stil sanieren und modernisieren. Wir sind Sitz eines Olympiastützpunktes, mit dem Helmholtz-Gymnasium haben wir eine der wenigen „Eliteschulen des Sports“ in Nordrhein-Westfalen mit dazugehörigem Vollzeitinternat. Wir haben mit dem „Essener Sportbund“ einen der innovativsten Stadtsportbünde in der gesamten Republik, der auch für die nicht vereinsgebundene Bevölkerung ein hochattraktives Sportangebot in über 20 Sport- und Gesundheitszentren und sogar in einem Kurhaus vorhält; „Kur vor Ort“ ist in Essen ein Markenzeichen geworden. Und in mehr als 500 Sportvereinen sind tagtäglich zahlreiche ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter damit beschäftigt, Jung und Alt ein breit gefächertes Sportangebot zu präsentieren. Wir brauchen uns in dieser Hinsicht hinter keiner Stadt zu verstecken.

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