Um 20:44 Uhr am 18. Februar 2015 betrat Timon Wellenreuther hinter Schalke-Kapitän Benedikt Höwedes das Spielfeld der Veltins-Arena. Der Mittelkreis war mit dem Banner bedeckt, das bei den meisten Fußball-Fans für eine Gänsehaut sorgt - es hieß: Champions-League-Time. Die Hymne des höchsten europäischen Vereinswettbewerbs erklang aus den Stadionboxen, kurz schüttelte er noch Iker Casillas, dem fünfmaligen Welttorhüter die Hand und dann ging es ab zwischen die Pfosten.
Doch für Aufgeregtheit war kein Platz an diesem Abend beim 19-Jährigen: "Ich habe nicht lange gebraucht, um mich auf das Spiel einzustellen, sondern mich einfach gefreut auf dem Platz zu stehen." Aufgrund der Verletzungen von Ralf Fährmann (Kreuzbandzerrung) und Fabian Giefer (Leistenverletzung) steht der mit einer Körpergröße von 1,86 Meter für einen Torwart recht kleine Wellenreuther seit der zweiten Halbzeit am 19. Spieltag gegen Bayern München im Schalker Gehäuse. Bis zum Spiel gegen den CL-Titelverteidiger hatte er also gerade einmal 224 Profiminuten auf dem Buckel.
Davon war allerdings nichts zu merken, als sich Weltfußballer Cristiano Ronaldo in der 35. Spielminute den Ball zurecht legte, fünf Schritte zurückging und sich in der Manier eines Cowboys breitbeinig aufstellte. Der 30-jährige nahm Maß und feuerte das Leder über die Mauer in Richtung rechter Winkel, Wellenreuther aber reagierte sensationell und lenkte den Freistoß zur Ecke. "Er zieht seine Show ab, aber ich habe da kein anderes Gefühl, als bei jedem anderen Freistoß", erzählt Wellenreuther. Ähnlich cool blieb der gebürtige Karlsruher, der sich mit 19 Jahren und 77 Tagen jetzt jüngster deutscher Torwart, der in der Champions League eingesetzt wurde, nennen darf, vier Minuten später, als erneut Cristiano Ronaldo allein vor ihm auftauchte: "Ich muss den Winkel verkürzen und mache Cristiano dadurch nervös, sodass er sich den Ball ins Aus vorlegt."
Seit 2013 steht er bei den Knappen unter Vertrag und muss gestehen, dass auch er seine Emotionen in einem solch wichtigen Spiel nicht komplett herunterfahren kann. "Innen brodelt es schon", gibt er zu, stellt sich jedoch in den Dienst des Kollektivs, "aber ich will der Mannschaft helfen und da bringt es mehr, wenn ich Ruhe ausstrahle, als wenn ich nervös auf der Linie klebe." Auch seine Rolle innerhalb des Teams schätzt er ganz nüchtern ein: "Ich weiß meine Position einzuordnen. Ich habe zwei klasse Torhüter vor mir und bin die Nummer drei."
Sein persönliches Highlight erlebte er aber vermutlich erst nach dem Spiel. Sein Gegenüber, Iker Casillas, der übrigens der jüngste jemals eingesetzte Torwart in der Champions League ist, kam nach Schlusspfiff über den Platz zu ihm gelaufen, beglückwünschte ihn zur absolvierten Leistung und bot ihm einen Trikottausch an. Wellenreuther gestand nach dem Spiel: "Casillas ist schon so etwas wie ein Vorbild für mich." Möglicherweise auch aufgrund der Einschränkung durch ihre Körpergröße, wobei der Schalker noch vier Zentimeter größer als der Spanier, den dieses Manko nicht vom Gewinn aller großen Vereins- und Nationalelf-Trophäen abgehalten hat, ist. Da bahnt sich womöglich eine ganz große Karriere an.