Als der VfL Ende Juni in die Vorbereitung der Spielzeit 2014/15 startete, da spielte Selim Gündüz in den Überlegungen der sportlichen Leitung überhaupt keine Rolle. Der 1,76 Meter große Angreifer hätte wohl nur an die Bürotür von Sportvorstand Christian Hochstätter klopfen müssen, um die sofortige Freigabe zu erhalten. Peter Neururer gesteht freimütig ein: „Ja, ich hätte ihn freigegeben.“
Gut sechs Wochen sind seitdem vergangen und Neururer muss zugegeben: „Wir hätten wohl einen Fehler gemacht. Ich habe niemals damit gerechnet, dass ein Spieler innerhalb so kurzer Zeit so gewaltige Schritte Richtung Profifußball macht. Der Junge hat sich ganz toll entwickelt. Für mich ist er die größte Überraschung der gesamten Vorbereitung.“
Und so überraschte es niemanden, dass der 20-Jährige am vergangenen Samstag gegen Greuther Fürth zu seinem ersten Pflichtspieleinsatz im Profibereich kam. Gündüz: „Ein großer Traum ist in Erfüllung gegangen. Als der vierte Unparteiische die Tafel mit meiner Rückennummer 27 in die Höhe hielt, da hatte ich eine Gänsehaut. Genau wie schon beim warmmachen.“
Und in den fünfzehn Minuten, in denen der Stürmer für frischen Wind sorgte, rieben sich viele im Stadion, die den dribbelstarken Youngster nicht mehr auf der Rechnung hatten, verwundert die Augen. Den Ritterschlag gab es später auch von Kapitän Andreas Luthe: „Für mich ist er ein absoluter Neuzugang. Ich freue mich, dass er wiedergekommen ist. Die erste Chance hat er damals nicht genutzt. Jetzt ist er plötzlich eine absolute Verstärkung.“
Danach sah es lange Zeit nicht aus. Denn nach einer spektakulären Jugendsaison 2010/11, wo er zwischen der B- und A-Jugend pendelte, kam plötzlich nicht mehr viel. Für den U17 erzielte Gündüz neun Tore und bereite dreizehn weitere vor, während er parallel für die U19 zwei Tore und zehn Vorlagen zu verzeichnen hatte. Allerdings bekam seine sportliche Laufbahn danach im wahrsten Sinnes des Wortes einen jähen Riss: Muskelbündelriss im August 2011, Kreuzbandriss im Januar 2012, Kreuzbandriss im Februar 2013 – seine Karriere schien zu Ende, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Als sich Neururer Gündüz dann im Frühjahr dieses Jahres wieder einmal anschaute, da war der Trainer nicht gerade begeistert: „Er ist mir nicht unbedingt positiv aufgefallen.“
Zwar erkannte der Übungsleiter immer sein großes Engagement, aber er stellte auch fest: „Ihm fehlten fußballerisch einige Dinge, die jetzt plötzlich in der Vorbereitung vorhanden waren. Er hat die Qualität, der Mannschaft zu helfen und wir wären dumm, wenn wir uns das nicht zu Nutze machen würden. Sein unglaublicher Aktionismus ist sein großes Plus.“ Aber natürlich weiß Neururer auch: „Dass er sowas nicht 90 Minuten spielen kann, ist klar. Wir werden ihn davon dennoch nicht abbringen, so kann er uns helfen. Alles andere kommt mit der Zeit.“ Und wie sieht das der Betroffene selbst? „Ich fühle mich komplett fit, habe keine Schmerzen mehr.“
Neuer Vertrag in Aussicht
Der 20-Jährige zeigt sich lernfähig: „Ich habe früher viel zu lange den Ball gehalten, doch jetzt bin ich erwachsen geworden und habe aus den Verletzungen gelernt. Mit einem Ballkontakt bin ich viel effektiver als mit drei oder vier. Ich habe die Kritik endlich angenommen und trete nicht mehr auf der Stelle.“ Selbstbewusst, aber ohne einen Ton Überheblichkeit fügt der Außenstürmer hinzu: „Ich glaube an meine Qualitäten.“
Weit entfernt ist er dagegen, nach nur einem Pflichtspieleinsatz, sich hochtrabende Gedanken über seine sportliche Zukunft zu machen: „Mein Ziel ist es, hier konstant so gute Leistungen zu bringen, dass mir der Klub einen neuen Vertrag anbietet. Ich fühle mich in Bochum pudelwohl und kann mir vorstellen, langfristig hier zu bleiben.“
Kumpel Gündüz und „Terra“
Ein Wunsch, der immer realistischer wird. Denn das Leichtgewicht ist mittlerweile im VfL-Kader zumindest in die Halbschwergewichtsklasse (18er-Kader) aufgestiegen. Privat ist er auch schon an die Stammformationen nah herangerückt. Denn obwohl Marco Terrazzino erst ein paar Wochen beim VfL ist, bildet er mit Kumpel Gündüz schon ein Gespann. Ob mal bei einem Besuch in einem Café im Bermuda Dreieck oder bei gemeinsamen Kinobesuchen während der Vorbereitung – die beiden scheinen unzertrennlich und vielleicht bilden sie schon bald – auf Dauer – die Flügelzange beim VfL.