Seit sechseinhalb Jahren ist Vincent Wagner inzwischen schon Rot-Weisser. Langweilig war es seither nie. Überhaupt ist ja an der Hafenstraße eigentlich immer was im Schwange. Doch auch für den 27-Jährigen war diese Hinrunde eine besonders eindrückliche. Wir sprachen mit dem Innenverteidiger über sportliche Enttäuschungen, das Verhältnis zu den Fans und die Wirkung einer Tischtennisplatte.
Das war sicher eine der aufregenderen Halbserien, seit Sie in Essen sind, oder?
Ja, auf jeden Fall. Es war alles dabei, was Rot-Weiss so auszeichnet. Gerade am Anfang ist viel schief gegangen. Sowohl sportlich, als auch was das Drumherum angeht. Im Spiel gegen Viktoria Köln lagen zwischen Traumstart und Albtraumstart ja durch unseren verschossenen Elfmeter nur fünf Minuten. Dann kam noch das Spiel in Düsseldorf. Mit allem, was dann über uns hereingebrochen ist...
Die Unruhe im Umfeld hat sich sicher auch auf die Mannschaft ausgewirkt. Wie spürt man das in der Kabine?
Das sieht man schon relativ extrem an den Neuzugängen, denen es schwer fällt, damit umzugehen. Bei einem Klub, der so im Fokus steht, ist das aber völlig normal. So etwas macht keiner von den Fans mutwillig oder böswillig. Die erleben schon jahrelang härtere Zeiten und der Rot-Weiss-Fan sehnt sich nach Erfolg. Wir alle hatten die Hoffnung, dass wir vielleicht ganz oben angreifen können. Das war aber relativ schnell vorbei und das Theater umso größer, was natürlich in erster Linie an uns lag, die wir das verbockt haben, auch wenn wir nicht immer so schlecht gespielt haben, wie es teilweise dargestellt wurde. Es gab dann aber auch eine Aussprache, bei der wir uns vernünftig mit den Fans zusammengesetzt haben. Dann haben wir gesgat: Wir können das zu 100 Prozent verstehen, aber wir würden uns eben wünschen, dass wir während des Spiels unterstützt werden. Das gegen Wattenscheid ging gar nicht, als wir sogar nach dem Ausgleich noch ausgepfiffen wurden. Da hat sich auch bei uns Spielern so eine Mentalität entwickelt, zu sagen: Nur, um es denen zu zeigen, gewinnen wir das Spiel noch. Und so etwas wollen wir natürlich nicht.
War das gleichzeitig der Tiefpunkt?
Es war vielleicht so etwas wie der Wendepunkt. Seitdem geht es wieder bergauf. Danach kam das Schalke-Spiel, in dem sich die Mannschaft zerrissen hat. Nur gegen Fortuna Köln wurden uns noch mal die Grenzen aufgezeigt.
Gegen die sahen Sie aber auch im Vorjahr schon nicht gut aus...
Da standen wir aber mit der besten Mannschaft auf dem Platz und haben am Ende knapp mit 0:1 verloren. Das war diesmal nicht der Fall und an so einem Tag haben die uns dann einfach weggenagelt, weil sie in der Verfassung einfach die Klasse besser waren. Danach haben wir uns geschüttelt, noch mal etwas neu aufgestellt und seitdem ging es dann ja auch bergauf.
Stichwort neu aufgestellt: War die Abkehr vom starren 4-3-3-System auch ein Grund für den Aufschwung?
Das spielen wir ja jetzt auch noch.
Aber mit anderem Personal und etwas flexibler.
Das ist schwer am Personal festzumachen. Unsere beiden Neuner halte ich grundsätzlich für falsch bewertet. Christian Knappmann kannst du nur messen, wenn er Chancen bekommt und daran, wie er sie verwertet. Er ist dafür da, die Dinger vorne wegzumachen, aber er muss sie halt kriegen. Er ist keiner, der durch vier Mann durchläuft und dann zum Abschluss kommt. Das wussten wir vorher. Ihn dann schlecht zu benoten, halte ich für falsch. Mit Benedikt Koep tun wir uns halt leichter, weil wir dadurch einfach flexibler sind. Er macht enorm viel für die Defensive, das hilft auch den anderen. Dadurch kann man ihn aber wiederum nicht an seinen Toren messen. Es ist aber auch schwierig: Wir haben die ganze Vorbereitung auf Cebio Soukou als kreativen Mittelfeldspieler ausgelegt und dann bricht uns der wichtigste Mann kurz vor Saisonstart weg. Das war alles nicht einfach. Seit dem Spiel in Verl ist aber wirklich alles besser geworden. Wenn ich durch meinen kapitalen Bock das Lippstadt-Spiel nicht noch auf dem Gewissen hätte, würden wir mit zwei Punkten mehr noch wesentlich besser dastehen.
Für den Aufschwung sind aber überraschenderweise nicht die verantwortlich, die man vorher als Top-Zugänge auf dem Zettel hatte. Woran liegt das?
Daran sieht man ja: Rot-Weiss ist kein leichtes Pflaster. Sowohl im positiven und im negativen Sinne. Wenn es nicht läuft und der Druck erstmal da ist, dann muss man damit umgehen. Daran, dass Benjamin Wingerter etwa ein überragender Kicker ist, kann es doch gar keinen Zweifel geben: Er war vier Jahre Leistungsträger beim Nonplusultra der Liga. Inzwischen spielt er aber schon wieder eine deutlich bessere Rolle. Das gilt zum Beispiel auch für Alexander Langlitz: Alle, die neu gekommen sind, werden auch zurückkommen. Im letzten Jahr hatte Max Dombrowka seine Schwächeperiode und was er derzeit abliefert, ist ja überragend.
In den Vordergrund gespielt hat sich natürlich vor allem Marcel Platzek. Bisher war es eigentlich eine Essener Stärke, das Toreschießen auf viele Schultern zu verteilen. Warum klappt es da noch nicht?
Marcel ist auch zum Toreschießen da, aber sicher: da müssen wir stärker werden. Ich habe zum Beispiel auch noch kein Tor gemacht und Nachholbedarf, genau wie Maik Rodenberg, unser Mittelfeld oder unsere Außenverteidiger. Aber solange Marcel alle Tore macht und wir gewinnen, habe ich nichts dagegen.
Nur wird das dann sicher auch anderen Vereinen auffallen.
Natürlich. Die Großen fressen die Kleinen. Aber Marcel ist ein geerdeter Junge. Er weiß auch, was er an uns als Mannschaft hat, aber wir wissen natürlich auch, was wir an ihm haben.
Schauen wir mal voraus: Im Januar geht es in die Türkei. Freuen Sie sich auf das Trainingslager?
Ja. Es ist das erste Wintertrainingslager seit langem. Wenn ich mich an letzten Winter erinnere, da waren wir schon froh, wenn wir überhaupt mal auf einem Kunstrasenplatz trainieren konnten. Und unter Waldi trainierst du halt immer, das fällt nie aus. Im Moment leidet die Türkei ja unter einem schweren Wintereinbruch. Deshalb hoffe ich nur, dass wir wenigstens um die zehn Grad plus haben, Ein grüner Trainingsplatz wäre schon etwas Feines.
Platz drei ist ja plötzlich gar nicht mehr so weit weg: Ist das Saisonziel noch drin?
Nach dem Start und daran gemessen, wo wir jetzt stehen, ist Platz drei ein sehr ambitioniertes Ziel.Ich glaube, wir sollten vor allem durch weitere sportliche Erfolge oder zumindest totalen kämpferischen Einsatz es in der Rückrunde schaffen, wieder so etwas wie Euphorie um die Mannschaft zu entfachen um daraus entstehend dann wieder den nächsten Schritt zu machen. Denn die Vergangenheit der letzten Jahre zeigt, sowohl nah als auch fern, dass weder viel Geld noch hohe Ansprüche den besonderen Erfolg garantieren. Meistens sind es sogar die Grundlagen des Scheiterns. Die Einheit der kleinen, großen RWE-Familie ist das, was uns stark machen muss. Das was uns in den letzten Wochen stark gemacht hat, ist gerade, dass wir uns nur noch von Woche zu Woche orientiert haben. So hat es Borussia Dortmund bei den beiden Meisterschaften auch gehandhabt. Es wartet zudem auch noch ein interessantes Halbfinale im Niederrhein-Pokal. Da sind wir gegen einen guten Drittligisten natürlich Außenseiter, aber an der Hafenstraße, unter Flutlicht haben wir schon einige geschlagen und ich habe die Hoffnung, dass uns noch mal eine Überraschung gelingt. Zudem hoffe ich, dass wir bald wieder unsere Kabinen beziehen können. Nach dem Wasserschaden müssen wir uns im Moment mit 30 Mann auf acht mal acht Metern aufhalten. Nach einem halben Jahr hatten wir uns endlich langsam eingelebt, es war alles nicht mehr so steril, eine Tischtennisplatte stand, es gab eine kleine Unterwassermassage. Wir haben gebraucht, um uns heimisch zu fühlen und das ist auch für den Mannschaftsgeist nicht unwichtig. Daher freue ich mich auch darauf, dass der Wasserschaden möglicherweise bald behoben sein wird.