An der Hafenstraße wusste man es sowieso schon immer: Mit Hacke und Spitze fördert man höchstens Kohle. Und was ist der inspirierte Zauber-Zock der Größen dieser Fußballwelt gegen einen dreckig herausmalochten, schmutzigen Arbeitssieg. Um die allzu realitätserfahrenen 6611 Zuschauer überschnappen zu lassen, bedarf es aber freilich schon ein wenig mehr. So tat der 2:1 (1:0)-Erfolg gegen Bayer Leverkusen II lediglich sein Übriges, markierte er doch die Punkte 14 bis 16 aus den letzten sechs Spielen. Ein markanter Wert. Für die Fans steht bereits fest: "Deutscher Meister wird nur der RWE".
Der Flutlicht-Kick am Freitagabend wird eines fernen Tages jedoch sicher nicht als Wegmarke auf dem Weg in höhere Sphären in Erinnerung bleiben. Die körperlichen Nebenwirkungen der permanenten Doppelschichten gehen auch an den rot-weissen Akkordarbeitern nicht spurlos vorüber. Erstmals wurde das bereits vor der Pause erkennbar. "Es ist ein ganz schmaler Grat", weiß Wrobel. "Solange du auf dieser Welle schwimmst, geht es von Spiel zu Spiel irgendwie. Doch die körperlichen Strapazen sind spürbar." Thomas Denker etwa, dessen "kompletter Apparat" im Bein zugmemacht hatte, vermag davon ein Lied zu klagen.
Zwei beinahe identische Vorstöße über die linke Seite - viel mehr war es dann auch nicht, das bei RWE vor der Pause zusammenging. Wohl dem, der dann so effektiv arbeitet wie die Hausherren. Gleich der zweite Versuch bedeutete das erste Tor: Holger Lemke drückte die Vorlage von Kevin Grund über die Linie (9.). Leverkusen versuchte, der Partie indes zumindest eine spielerischer Linie zu verpassen, strahlte dabei gegen engagiert verteidigende Essener aber praktisch mal gar keine Torgefahr aus. Angereichtert mit Fehlpässen, ungewöhnlich vielen Stockfehlern und Unterbrechungen, war dies das Rezept für einen äußerst mauen Kick.
Doch nach dem Wechsel spielte RWE nun mal auf die Osttribüne. Nicht das erste Mal, dass das Wrobel-Team mit dieser Perspektive ungeahnte Reserven entdeckte. Rot-Weiss hatte noch ein paar Tropfen Sprit im Tank, drehte noch einmal auf und profitierte schließlich vom goldenen Händchen des Trainers. Der eingewechselte Lukas Lenz war erst Sekunden auf dem Feld, als er gemeinsam mit Benedikt Koep einen unwiderstehlichen Antritt hinlegte und diesem schließlich butterweich und uneigennützig die Vorlage zum 2:0 (73.) servierte.
Dass es nun noch einmal spannend wurde, war allein Hamadi Al Ghaddioui zu verdanken, der mit einem fein gezogenen Schuss in den Winkel (82.) eine beherzte Schlussoffensive der Leverkusener einleitete. Mit Glück und Verstand brachte RWE den knappen Vorsprung aber über die Zeit. Auch eine Entwicklung. Es wäre nicht das erste Spiel gewesen, das die Bergeborbecker vor heimischer Kulisse noch aus der Hand gegeben hätten. Doch Essen scheint gereift und freilich auch beseelt von einem beeindruckenden Lauf.
"Leverkusen hatte einige Jungs dabei, die schon mal in U-Nationalmannschaften vorstellig geworden sind. Ich denke, das hat man gesehen. Dennoch haben sie meiner Meinung nach verdient verloren. Wir sind im letzten Drittel gefährlich, wir verteidigen derzeit anständig und haben Jungs dabei, die richtig gut drauf sind", lobte Wrobel. Dennoch weiß der 42-Jährige, dass nun andere Kaliber warten. Homberg im Pokal, danach Lotte und Trier, die Personaldecke ist zudem dünn wie Transparentpapier.
Den Fans war das für den Moment herzlich egal: "Deutscher Meister wird nur der RWE", schallte es durchs Georg-Melches-Stadion. Da musste selbst Wrobel schmunzeln, gab alsbald aber Entwarnung: Alles wie gehabt. "Ich habe das auch gehört. Ich denke aber, dass wir nicht so schnell vergessen sollten, wo wir herkommen. Mir ist das alles zu schnell, zu weit, zu hoch."
Zumindest einer Sache können sich die RWE-Anhänger derzeit aber gewiss sein: Rot-Weiss setzt die Wrobelsche Maxime derzeit vorbildlich um. Einsatz bis ans Limit! Die fleißigste Firma der Stadt steht an der Hafenstraße 97a - und spuckt derzeit auch noch Punkte am Fließband aus.