Zuletzt hatten sogar die Fans mobil gemacht, sprachen beim Oberbürgermeister vor, machten sich die Symbolkraft der Straße zu eigen. 2012 nun ist der Verein am zuweilen bereits verloren geglaubten Ziel aller mühevollen Bestrebungen angelangt. Anlässlich Rot-Weiss Essens 105. Geburtstag luden Verein- und Stadtvertreter erstmals ganz offiziell in die neue, wengleich noch mitten im Bau befindliche Arena.
Es bedarf schon ein wenig Chuzpe, genau dieses Datum zu wählen, um einer vermeintlichen Minderheit offizielle Form angedeihen zu lassen, die mancher, der sich dem Deutschen Meister von 1955 im Allgemeinen und dem Neubau im Speziellen verbunden fühlt, als schieren Affront empfinden muss. Nicht, dass sich im Lager der Rot-Weissen jemand fände, der wahnsinnig genug wäre, am Bauvorhaben als solchem zu kritteln. Und doch beobachtet eine Gruppierung die Arbeiten mit wachsender Sorge. Ihr Antrieb: Der Erhalt der alten Haupttribüne.
Jenem Herzstück des traditionsreichen Georg-Melches-Stadions, das sich über Jahre gelebten Anachronismus, kapitalen Standortnachteil und marodes Mahnmal kleinmütiger Kommunalpolitik schelten lassen musste, mitunter sogar der Gefahr für Leib und Leben bezichtigt wurde. Alt, aber immer weniger ehrwürdig. Ein Fall für den Schrottplatz der Geschichte. Oder fürs Museum. Genau diesen Blickwinkel versucht die taufrische Initiative nun im Hau-Ruck-Verfahren mehrheitsfähig zu machen. Was auf einer Fankonferenz zum Stadion-Neubau im November in Form einer vielbeachteten Wortmeldung von Jörg Lawrenz öffentlich zu brodeln begann, spaltet mittlerweile die Essener Fanszene.
Die Realo-Fraktion scheint sich dabei zunächst der schlüssigeren Argumente gewiss. Schließlich wird längst gemäß eines völlig anderen Bauplans gearbeitet. Sicher, möglich wäre es zwar, die alte Tribüne auf dem Vorplatz der neuen Arena stehen zu lassen. Jedoch würde dies eine erhebliche Beschränkung der Parkflächen bedeuten, über den ästhetischen Wert einer solchen Lösung lässt sich zudem trefflich streiten. Ob für dieses eigenwillige Unterfangen potente Geldgeber, die sich gleichzeitig nicht für den Verein engagieren, zu gewinnen sind, ist fraglich. Weiterhin hat die Grundstücksverwaltung Essen (GVE), ihres Zeichens Bauherrin des Stadionprojekts, sich bereits klar gegen die Erhaltung der Haupttribüne positioniert. Nach langen Gesprächen sei dies schließlich die einzig mögliche Entscheidung gewesen. „Wir haben den Initiatioren in langen Gesprächen alle Möglichkeiten gegeben, ein Konzept zu vermitteln“, sagt Markus Kunze von der GVE. „Wir haben uns nun im Aufsichtsrat entschieden, die Gespräche zu beenden und dieses Projekt nicht zu forcieren.“
Gleichwohl lässt sich die von derlei Absichtsbekundungen nicht schrecken – im Gegenteil. Erst nachdem die GVE ihre Entscheidung gegen den Erhalt öffentlich machte, ging die Initiative mit einer eigenen Website an die Öffentlichkeit. Eine Hintertür hält sogar die Bauherrin höchstselbst noch auf. „Wir sind nur ausführendes Unternehmen. Wenn es denen gelingt, die Denkmalpflege zu überzeugen, richten wir uns danach“, sagt Kunze. Das letzte Wort haben also wohl wieder einmal erst die Bagger.
Die Pro und Contras zum Erhalt der Haupttribüne lesen Sie auf Seite 2.