Bis dahin allesamt unbekannte Tugenden des Aufsteigers. Rational lässt sich diese Wandlung nur schwer erklären. Beinahe ist man versucht, dem Sieg gegen den Erzrivalen Schalke 04 vor einer Woche etwas Mythisches anzudichten. Immerhin genügte der spielerisch magere 1:0-Erfolg, um verschüchterten Essenern neues Selbstbewusstsein und sogar eine breite Brust eigentümlich werden zu lassen. Vom strahlenden Leumund der Borussia jedenfalls ließen sich die Gäste vor 918 größtenteils rot-weissen Fans nicht im geringsten schrecken. Dabei hatte Essens Trainer Waldemar Wrobel eindringlich vor den aggressiven, lauf- und spielstarken Dortmundern gewarnt. Doch all das scherte die Gäste zunächst wenig. 30 Minuten lang dominierte RWE.
Sogar der Führungstreffer hätte sich trefflich ins ansehnliche Bild gefügt, das die Gäste abgaben. Doch ganz so schnell lässt sich das Unglück doch nicht abstreifen. Holger Lemke teilte die Meinung, elfmeterreif gefoult worden zu sein (33.) mit der Mehrheit der Anwesenden. Auch, dass Lukas Lenz unmittelbar vorher gegen Marcel Halstenberg ein Offensivfoul beging, war zweifelhaft. Schiedsrichter Nikolaus Athanassiadis urteilte jedoch klar und verhinderte so eine aussichtsreiche Möglichkeit für RWE. „Deshalb war der Sieg auch glücklich, aber am Ende nicht komplett unverdient“, argumentierte RWE-Trainer Waldemar Wrobel und hob damit auch auf die Leistung im zweiten Durchgang ab. Damien Le Tallec, über den sich hartnäckig das Gerücht hält, er stehe im Bundesliga-Kader des Deutschen Meisters, präsentierte sich maximal amateurhaft und handelte sich binnen weniger Sekunden Gelb und Gelb-Rot ein. Wegen nachdrücklichen Meckerns (52.). Es ging um einen Einwurf im Mittelfeld!
Frappierend jedoch, was sich in der Folge entwickelte. Der Platzverweis war das Signal für einen fulminanten Abschnitt der Hausherren, die nun endlich ihrem Ruf gerecht wurden und RWE spielerisch forderten, oft auch überforderten. Dennis Lamczyk erwies sich jedoch als stabiles Rückgrat des neuen Essener Selbstbewusstseins und parierte mehrfach glänzend. Essen kam offensiv indes überhaupt nicht mehr zum Zug und erwehrte sich mehr schlecht als recht dem Sturmlauf der Dortmunder. Vor dem Tor versagten die Hausherren jedoch in schöner Regelmäßigkeit. Dass Halstenberg es Le Tallec gleichtat und sich Gelb-Rot einhandelte (88.), schien zu fortgeschrittener Stunde bereits Makulatur. Denkste! In doppelter Überzahl köpfte Benedikt Koep nach Ecke von Markus Heppke in der Nachspielzeit den erlösenden 1:0-Siegtreffer.
Für David Wagner gleich ein doppeltes Ärgernis. Zum einen sei dies ein glücklicher Sieg für RWE gewesen, bemerkte der BVB-Coach. Mit den beiden Platzverweisen haderte der 40-Jährige dankenswerterweise nicht, noch nicht einmal damit, dass er selbst auf die Tribüne verwiesen wurde, gestand er doch reumütig „ein Hütchen touchiert“ zu haben. Wohl aber damit, dass Oskar Gasecki, den er vor dem entscheidenden Eckball eilfertig für Mario Vrancic ins Spiel gebracht hatte, es gar nicht mehr bis zum eigenen Tor schaffte. „Dass der Schiedsrichter die Ecke so ausführen lässt, da finde ich gar keine Worte für“, monierte Wagner. Den explosiven Freudentaumel der Essener vermochte dies aber nicht zu verhindern. RWE jubelt wie in besten NRW-Liga-Zeiten. Und das ist in diesem Fall eine uneingeschränkt positive Erkenntnis.